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Europa hat gewählt, schon zwei wahlkampffreie Wochen liegen hinter uns, in denen wir nicht mehr mit Ausrutschern auf dem vor lauter Geifern spiegelglatten Politparkett gequält wurden. Aber die medial genüsslich ausgeschlachteten Schimpfkanonaden werden wohl nicht der Hauptgrund für die elektorale Enthaltsamkeit von mehr als der Hälfte der Europäer gewesen sein.
Auch die Aussparung von Europathemen und der Missbrauch der kontinentalen Entscheidung für innenpolitische Parteienwettrennen sind viel zu vordergründige Erklärungsversuche. Aber immerhin ließen sich so nach der Wahl mit "Prügeln", die Europas Regierungen mit Ausnahme der österreichischen Kanzlerpartei bezogen haben, vortrefflich Schlagzeilen machen.
Es wird schon von allem mehr oder weniger gewesen sein, was die Nicht- und Anti-Europa-Wähler in ihrem Tun oder Nichtstun bestimmt hat. Hauptgrund für die europäische Wahlblamage, die von amerikanischen Zeitungen mit Häme auf den Titelseiten serviert wurde, ist aber doch eher die Riesendistanz zwischen den Europäern und der Union. "Wir sind Europa" ist ein schöner, aber papierener Slogan, so lange Politiker der EU die Bürger faktisch außer Hörweite halten, um das tun zu können, was sie für richtig halten. Aber auch so lange wie Verantwortliche so tun, als gehöre ihr Land gar nicht zur EU, um das "böse" Brüssel zum Sündenbock für aller Unpopuläre zu stempeln. Die österreichische Transitfrage ist ein Beispiel, aber beileibe kein europäischer Einzelfall. Hinzu kommt die Plakatierung des siebenten EU-Himmels vor den Beitrittsreferenden statt der nüchternen Ausbreitung aller Pros und Kontras.
Einen nicht unbeträchtlichen Beitrag leistet auch der gedruckte und gesendete europäische Boulevard mit seiner Maxime "bad news are good news".
Und gibt's kein wirkliches Europagefühl, dann gehen alte wie neue Europäer eben auf den Ego-Tripp und beurteilen die Union nur noch danach, was sie ihnen persönlich bringt. Das erscheint aus oberflächlich-individueller Sicht wenig bis gar nichts und das noch mit vagen Zukunftsaussichten. Denn das Wirtschaftswachstum erhöht sich nur langsam. Vor allem weil der europäische Wirtschaftsmotor Deutschland noch immer stottert. Wobei die Meinung nicht falsch sein muss, dass die viel zu späte Inangriffnahme der notwendigen Strukturreformen die Hauptschuld daran trägt. Würde Gerhard Schröder die Konsequenzen aus seinem Europawahldebakel nun mit einer weiteren Verwässerung der angegangenen Reformen ziehen, hätte das katastrophale Folgen für ganz Europa.
Man kann die Europawahlen aber auch gelassener sehen und meinen, es sei eigentlich gar nicht so viel passiert. Eben eine Momentaufnahme der europäischen Befindlichkeit. Ist halt ein Viertel der Sitze im neuen Europaparlament mit EU-Kritikern und Gegnern besetzt, anstellen könne sie ohnehin kaum etwas, so lange das System der großen Fraktionen funktioniert. Aber immerhin spiegelt die Zusammensetzung des Parlaments "wahrheitsgetreu" die europäische Stimmungslage wider. Und auch die Nichtwähler könnte man — etwa nach dem Muster der Schweizer Volksabstimmungen — als solche deklarieren, denen im Grunde ohnehin alles recht ist.
Besser wäre es aber, würden die Politiker die Europawahl als Schuss vor den Bug verstehen. Mit ein wenig Blauäugigkeit könnte man sich ja wünschen, dass sie Europa leben, danach handeln und ohne innenpolitische Seitenblicke versuchen, die Bürger von Europa zu überzeugen. Ein Bisschen viel verlangt, würde das doch das Eingeständnis bedeuten, dass die nationale Politik und damit die Politiker nicht mehr den Stellenwert haben wie früher, weil die wirklichen Entscheidungen schon längst in Brüssel fallen. Aber hoffen kann man immer.
Euro-Optimisten mussten vorige Woche neuerlich zittern. Sah es doch schon so aus, als würde der EU-Gipfel den skeptischen Europawählern Recht geben und an den nationalen Egoismen scheitern. Aber immerhin haben die Staats- und Regierungschefs nach doch etwas beschämendem Gerangel den Verfassungsentwurf verabschiedet und damit einen wesentlichen Schritt zur Weiterentwicklung der EU — auch in Richtung Bürgernähe — über die erste große Hürde gebracht. Auch ein Hoffnungsschimmer, dessen mediale Wirkung die Gipfelteilnehmer allerdings selbst arg beschnitten haben, weil ihnen die angekündigte Einigung im Personengeschiebe rund um den Prodi-Nachfolger nicht gelungen ist.
Und wieder haben die medialen und politischen Hiobsboten Hochsaison, denn schon prophezeien sie das Scheitern der neuen Verfassung an den Referenden in den einzelnen Ländern. Prinzip Hoffnung ist nicht eben angesagt und die Unkenrufe könnten zur "Selffulfilling prophecy" werden, wenn man sie nur intensiv und lange genug trommelt. Aber es könnte auch anders kommen, denn immerhin sind bis dahin noch zwei Jahre Zeit, in denen sich (hoffentlich) viel ändern kann. Möglicherweise gibt es doch eine EU-gesamte Volksabstimmung, für die heute noch niemand ein Schreckenszenario bereit hat.