Klimaethik des dritten Jahrtausends im Lichte der Verantwortung.
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Der Mensch ist im Anthropozän selbst zur Naturgewalt, zur "geological force", geworden. Doch nachhaltige Beschädigungen von Naturzusammenhängen drohen uns die Lebensgrundlagen zu entziehen. Zuletzt stellt uns der Klimawandel vor nachhaltige Herausforderungen. Die Frage der Verantwortung für zukünftiges Handeln erscheint wichtiger denn je. Es ist Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Über weite Strecken der Kulturgeschichte als Naturbewältigung aufgefasst, kommt es spätestens mit René Descartes zu einer Hierarchisierung von Geist und Natur - es ist ein Verhältnis und Verständnis der Über- und Unterordnung, das von der neuzeitlichen Philosophie über die Empfindsamkeit der Romantik bis in die Umweltdiskurse der Gegenwart reicht. Zeitgenössische Debatten wollen gar eine Unterjochung der Natur ursächlich in der modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verwurzelt wissen.
Selbstverständlich gilt es Umweltbeschädigungen abzuwenden, allerdings geht es auch um nachhaltige Bewältigungsstrategien. Denn woher sich die Disziplinierung von Natur primär herschreibt, ist die Abwehr von Extremwerten - man denke an Überschwemmungen oder Dürren -, die im Umgang mit der Natur sehr wohl auch angelegt sind. Menschliche Vergesellschaftung ist auf einen Gleichklang mit der Natur angewiesen, und ebendieser zeigt sich in gewissen Formeln des Eingreifens. Das war in antiken oder außereuropäischen Stadtkulturen nicht anders als in heutigen Metropolen.
Nachhaltigkeitsstrategien sind Eingriffe in Natur
Selbst aktuelle Studien der Unesco und der WHO oder auch der jüngste IPCC-Bericht zeigen, dass es einer ganzen Armada konsolidierter Instrumente bedarf, um die "sustainable transition" zu erwirken. Allein, auch diese zukunftsweisenden Nachhaltigkeitsstrategien sind selbstverständlich Eingriffe in die Natur. Und so zeigt sich, dass Disziplinierung keine defizitäre Unterwerfung, sondern der gelebt-vollzogene menschliche Umgang mit der Natur - also eine anthropologische Grundkonstante - ist.
Im Maße des beschleunigten Fortschritts seit der Industriellen Revolution bleibt die Menschheit von der Umwelt betroffen. Diese natürliche Betroffenheit ist lesbar, gar fühlbar: in Klimaextremen und Wasserknappheit, in Hitzewellen und schmerzlichen Biodiversitätsverlusten sowie im steigenden Meeresspielgel - ein Mehrfrontenkampf an der Rückseite der Disziplinierung. Vor allem im Umbruch, in Katastrophen- und Krisenmomenten, werden die zivilisatorischen Leistungen der Disziplinierung reflektiert.
Der Mensch achtet sich selbst mehr als die Natur
Doch wo der Mensch im Anthropozän selbst zur Naturgewalt wurde, wich die Achtung, die er dereinst der Natur zollte, jener, die er sich von nun an selbst entgegenbrachte. Die Amplitude seines Eingreifens wurde im Laufe der Neuzeit bis zu jenem Punkt vorangetrieben, an dem sich heute die Frage nach den Arten des Zugriffs auf die Natur neu stellt - und ob diese noch gerechtfertigt beziehungsweise verantwortbar erscheinen.
Unter dem Prinzip der generischen Betroffenheit ist und bleibt Verantwortung zwischen globaler Achtsamkeit und regional-nachhaltiger Subsidiarität, entlang eines global-ethischen Verantwortungshorizontes, begriffen. Natureingriffe müssen mehr sein als Reparaturtechnologien für bereits eingetretene Umweltbeschädigungen, wie der Kulturwissenschafter Hartmut Böhme festgestellt hat. Geht es um die Entwicklung ethischer Prinzipien, scheint ein Gedanke des 1993 verstorbenen Philosophen Hans Jonas bestechend: dass nämlich alle Staatskunst für die Möglichkeit künftiger Staatskunst verantwortlich ist. Wichtiger noch, müsse die Möglichkeit verantwortungsvollen Handelns auch künftig bestehen bleiben.
Worum es somit zentral - und in Fragen der Generationengerechtigkeit immer - geht, ist ebendiese Möglichkeitsform: dass es nicht zu einem Defizitärwerden des Zukunftshorizontes kommt. Das Mensch-Natur-Verhältnis ist nicht statisch. Es ist dynamisch und kann sich folglich auch zum Schlechteren wandeln. Nichts anderes besagen die vielzitierten "tipping points"; gegen nichts anderes richten sich das 1,5- oder das 2-Grad-Ziel: die Möglichkeitsform verantwortungsvollen Handelns auch künftig zu erhalten.
Diskursive Schärfe in Transformationskonflikten
Fragen der Nutzungsverteilung und Klimagerechtigkeit sind gegenwärtig Hort normativen Ringens und konfliktträchtiger Diskussionen. Anbrandende Transformationskonflikte gewinnen an diskursiver Schärfe. Es ist richtig, Wasser und Atmosphäre näherungsweise als global-öffentliche Gemeingüter zu betrachten. Ebenso wichtig scheint es, zu konstatieren, dass diese mitunter als Halde für Abfälle und Emissionen missbraucht werden. Doch im Lichte sich verschärfender Transformationskonflikte eine Grundsatzposition des Nicht-eingreifen-
Dürfens in Natur zu beziehen, begibt sich immer in die Gefahr von Verabsolutierung, was das Gegenteil von inklusivem Politik-Handeln ist.
Die sozial-ökologische Transformation könnte indes bereits von ihrer etymologischen Herkunft her (lateinisch: transformatio = Umformung) positiv gelesen werden; nicht als Veränderung, die eine Umkehr im Sinne des Wohlstandsverlustes bedeuten muss, sondern vielmehr als bewusst herbeigeführte Wende des Um- und Aufschwungs, die durch technologieoffene Innovation und einen klugen wirtschaftsstrukturellen Umbau von einer linearen zur zirkulären Wirtschaftsweise Treibhausgasemissionen reduziert und zugleich neue sozioökonomische Transformationschancen bietet. Immerhin: Nach Schätzungen des World Economic Forum könnten bis zum Jahr 2030 rund 60 Millionen Jobs weltweit durch Investitionen in klimaresiliente Infrastrukturen geschaffen werden.
Vorausschauende Nachsicht benötigt neue Ehrlichkeit
Eine gehobene Achtsamkeit scheint gefragt: weg von einer defizitären hin zu einer nachhaltig-resilienteren Selbstbeschreibung des Gesellschaftssystems. Doch dieses neue Verantwortungsbewusstsein vorausschauender Nachsicht benötigt zugleich eine neue Ehrlichkeit. Was also gesucht ist und gesucht sein muss, ist eine höhergradige Rationalisierung in Naturfragen. Nachhaltigkeit kann unter dem Leitgedanken der Konnektivität, der digitalen Verbundenheit, sehr wohl auch Naturverbundenheit bedeuten, etwa in nachhaltigen Smart-Citys.
Das Erlangen solcher Umgangsformen käme der gesuchten Synthese aus Renaturierung und Fortschritt im Sinne des Zivilisationsprozesses nach dem 1990 verstorbenen Soziologen Norbert Elias gleich: einer Feinziselierung, die darauf bedacht ist, präzise Eingriffe vorzunehmen, ohne allerdings zu nachhaltigen Naturbeschädigungen zu führen. Es gilt, eine naturverbundene Form der Rationalisierung zu gewinnen, die Eingriffe in die Natur auch erlaubt und gerade darin verantwortlich handelt. Ein solcher Natureingriff ist alleine natürlich diszipliniert.