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Die Doppelstrategie des IS

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Ressortchef für Außenpolitik bei den "Salzburger Nachrichten".

Der Mega-Terror in Paris soll von den Niederlagen in Nahost ablenken und ungebrochene Schlagkraft demonstrieren.


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Der radikalislamische IS bekannte sich am Samstag zu sechs Anschlägen in Paris und zu zweien in Beirut mit zusammen 172 Opfern. Offenbar wollte er von militärischen Niederlagen in Syrien und im Irak ablenken und beweisen, dass er in seinem international gespannten Terrornetz jederzeit und überall fürchterlich zuschlagen kann und seine Kommunikation ausgezeichnet funktioniert. Dennoch verwischt das nicht seine strategische Schwäche. Der große chinesische Guerilla- und Terrorstratege Mao Zedong beschrieb vor 80 Jahren die dreistufige Strategie:

Unterdrückte mit einer "Kristallisationsparole" gegen das bestehende Regime mobilisieren.

"Organisation" des mobilisierten Volkes durch Revolutionäre im Untergrund, damit diese nach Terrorakten im Volk "wie der Fisch im Meer" untertauchen können. Schließlich "Militarisierung" durch Bewaffnung des Volkes und Beginn des "revolutionären Kriegs".

Lenin warnte allerdings: Zetteln Revolutionäre den Aufstand ohne revolutionäre Stimmung unter den Massen an, sind sie Abenteurer, die keinen "langandauernden" Terrorkampf führen und damit die angegriffene Gesellschaft materiell und moralisch auszehren können.

Guerilla und Terror sind klassische Waffen schwacher Kräfte, die durch "Propaganda der Tat" (Attentate) den Herrschenden Furcht einjagen und dem Volk beweisen wollen, dass die Mächtigen zu schlagen sind. Der sunnitische IS fand die richtige "Kristallisationsparole": Unterdrückung der Sunniten durch schiitische Regimes im Irak und in Syrien. Deshalb desertierten Geheimdienstler und Offiziere sowie hochqualifizierten IT-Techniker zum IS. Materielle Unterstützung boten sunnitische Ölprinzen. Mit "Mini-Blitzkriegen" frustrierte der IS die regulären Truppen so nachhaltig, dass Soldaten massenhaft überliefen. Wo immer er mit Städten auch Menschen "eroberte", ging er mit barbarischer Brutalität gegen jene vor, die nach einem berüchtigten Wort Hitlers "auch nur schief schauen".

Aus alldem ergibt sich eine Doppelstrategie des IS: In Nahost ließ er sich auf konventionelle Kriegsführung ein und riskierte militärische Niederlagen. In Europa versucht er, eine Rechtsradikalisierung zu provozieren. Das heißt Verschärfung politischer Gegensätze durch Einschränkung der Freiheit, die vor allem junge Menschen dem Islamismus zutreibt und somit auch jenes Meer schafft, in dem die Terroristen untertauchen. Der IS ist noch längst nicht geschlagen. Er kann wie Al-Kaida in Nordpakistan oder die Taliban in Afghanistan strategisch auf den "Krieg aus dem Dunkeln" zurückschalten: Kämpfer zerstreuen sich und tauchen unter. Und er kann sein internationales Terrornetz jederzeit und überall aktivieren, um mit "defensiven" Anschlägen unschlagbare Stärke vorzutäuschen. Die Attentate in Paris und Beirut waren ebenso "Propaganda der Tat" wie 9/11 in New York, um maximalen Schaden anzurichten, maximalen Schrecken zu verbreiten und "Repression" zu provozieren.

Erster Erfolg: Polen verweigert die Aufnahme von Flüchtlingen. Doch dem IS passieren auch schwere taktische Pannen: Die Polizei fing vor einer Woche in Oberbayern den Pkw eines Mazedoniers ab, der für den IS Waffen und Sprengstoff schmuggelte und im Navi eine Zieladresse in Paris hatte.