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Die Dritte Republik steht ante portas. Sie ist noch gestaltbar

Von Matthias Strolz

Gastkommentare
Matthias Strolz ist Klubobmann der Neos.

Probleme wie die noch nicht erfolgte Angleichung des Frauenpensionsalters oder die Erhöhung des Pendlerpauschale fallen uns nun auf den Kopf.


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"Wir haben fast keine Wahl. Wir haben keine, weil wir’s verschissen haben. (. . .) Wir haben offenkundig die letzten eineinhalb, zwei Jahre durchgelogen. Es war ganz klar, dass nicht wahr ist, was wir sagen. Dass wir dermaßen jenseits der Möglichkeiten des Landes sind (. . .) Heute besteht höchstens die Wahl, ob wir versuchen zu beeinflussen, was passiert, oder ob uns die ganzen Probleme auf den Kopf fallen . . ."

Nein, kein Mitschnitt von Werner Faymanns Analyse im SPÖ-Vorstand. Auch kein geheimes Protokoll von Michael Spindeleggers Selbstgeißelung im Kreise der Seinen. Zu-
gutehalten könnte man ihnen, dass sie wohl nicht so derb in der Wortwahl wären. Zu vermuten ist jedoch auch, dass ihnen dazu der Mumm, die Selbstreflexionsfähigkeit und die Entschlossenheit fehlen. Es sind die Worte des damaligen ungarischen Regierungschefs Ferenc Gyurcsány 2006, die er hinter verschlossenen Türen an den Führungszirkel seiner Sozialistischen Partei richtete, und deren Mitschnitt anonym an den Ungarischen Rundfunk gelangte.

Die Probleme fallen uns nun also auf den Kopf. Als Vizekanzler Spindelegger im Wahlkampf die vorgezogene Angleichung des Frauenpensionsalters auftischte, wurde er von Andreas Khol, Obmann des ÖVP-Seniorenbundes, zurückgepfiffen. Heute fehlen allein für die nächsten fünf Jahre 8,7 Milliarden im Pensionsbudget. Als Aufsichtsratschef und Vorstandsvorsitzender der Hypo Alpe Adria zurücktraten, wurde keine Gefahr in Verzug erkannt. Heute klafft ein Loch von fünf bis zwölf Milliarden. Als für Landeshauptmann Erwin Pröll das Pendlerpauschale erhöht wurde, war allen klar, dass das ein budgetärer Sündenfall ist. Heute fehlt das Geld, um wie versprochen die seit rund zehn Jahren eingefrorene Kinderbeihilfe zu valorisieren. Solche Dinge geschehen in unserer Republik, weil es an Mut, Aufrichtigkeit und Leadership mangelt.

Der Mut und die Aufrichtigkeit hatten übrigens Gyurcsány nichts mehr genutzt. Er musste zurücktreten und seine Partei wurde bei den Wahlen vernichtend geschlagen. Die Nachfolger demolieren nun die ungarische Demokratie. Davon sind wir noch ein Stück weit entfernt. Aber leider mindestens so weit entfernt sind wir von einem echten Erneuerungsprozess der ÖVP oder der SPÖ. Ich wünsche mir eine vitale Sozialdemokratie und eine kraftvolle Christdemokratie in Österreich. Neben Ungarn hat auch Italien gezeigt, wohin es führt, wenn staatstragende Parteien wegbrechen. Es wurde nicht wirklich besser. Natürlich arbeiten wir Neos nach Kräften an einer tragfähigen Alternative. Aber für belastbare Mehrheiten braucht es mehr als uns. Noch ist unklar, wie sich das Vakuum füllen wird, wenn das rot-schwarze Machtkartell unter 50 Prozent fährt und damit stirbt. Bald wird es soweit sein. Es bleibt die Hoffnung, dass zumindest einer der zwei ehemaligen Großen eine Erneuerung "an Haupt und Gliedern" schafft: eine inhaltlich-strategische, strukturelle und organisationskulturelle Revitalisierung. Dieser Prozess müsste jetzt beginnen, sonst wird es sich zeitlich nicht ausgehen. Die Dritte Republik ist ante portas. Es wird nicht nur an den Wählerinnen und Wählern liegen, zu entscheiden, wie sie daherkommt, sondern auch an den Parteien. Sie sind die Säulen der parlamentarischen Demokratie.