![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Auch wenn man ihn ohne "h" schreibt, verdankt die Hafenstadt an der Ruhr ihren Namen den Mühlen. Mülheim, die "Stadt am Fluss", hat heute aber ganz andere Besonderheiten zu bieten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Seit vor 45 Jahren die letzte Zeche stillgelegt wurde, entwickelte sich die einstige Industriestadt Mülheim an der Ruhr zum bevorzugten Wohngebiet für die gestressten Städter aus Duisburg, Essen oder Düsseldorf. Immerhin sind rund fünfzig Prozent des Stadtgebietes mit Grün- und Waldflächen bedeckt. Auch ist die 170.000-Seelen-Stadt die einzige im Ruhrgebiet, deren Altstadt tatsächlich direkt an dem namensgebenden Fluss liegt.
Mülheim hat den schmerzlichen Prozess vom Steinkohlen-Pott zum zukunftsträchtigen Standort erfolgreich vollzogen. Heute beherrschen nicht mehr Leder-, Kohle- und Stahlindustrie die Szene, sondern Handel, Wissenschaft und Dienstleistung. Bürger, Stadtväter und Wirtschaftstreibende haben den Wahlspruch der Stadt "Mölm boven aan" ("Mülheim nach oben") offenbar ernst genommen. Das Einkommensniveau liegt über, die Arbeitslosenquote unter dem Bundesdurchschnitt.
Ihren Beitrag dazu liefert auch die Kultur, vor allem die Museumsmeile, deren Kleinode entlang der Ruhr aufgefädelt sind. Schon das Heimatmuseum, inmitten alter Fachwerkhäuser, die dem Krieg trotzten, zeigt Besonderes: das Leben des Mülheimer Arztes Carl Arnold Kortum, Verfasser der berühmten "Jobsiade".
Ein Schlossmuseum zeigt anhand von 300 Objekten, Modellen, Urkunden, Gemälden, Waffen und Ausgrabungsstücken die spannungsvolle Beziehung zwischen Burg, Herrschaft und Stadt. Eine Überraschung bringt das Kunstmuseum in der Alten Post: Zeichnungen und Gemälde von Max Beckmann, Max Ernst, Lyonel Feininger, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Emil Nolde, Franz Marc und August Macke, die größte Heinrich Zille-Sammlung außerhalb Berlins sowie grafische Serien von Barlach, Chagall und Picasso.
Wer sich nicht vom Blick über die Stadt ablenken lässt, dem bietet der Rathausturm einen weiteren Blick: auf die Büroarbeit, vor PC, Handy, Faxgerät und E-Mail. Auf drei Etagen zeigt das Büromuseum die Entwicklung von Tintenfass und Federhalter zu den ersten mechanischen Schreibmaschinen. Und was brauchte man nicht alles für Hilfsmittel: Rechenmaschinen, Geldzählgeräte, Stechuhren, Papierlocher und Diktiergeräte.
Zum Thema "Selbständigkeit" kann man sich im Gründer- und Unternehmermuseum im ehemaligen Stammsitz von August & Joseph Thyssen jede Menge Anregungen holen. Schließlich hätte Mülheim ohne Unternehmergeist nie den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft.
Außen und innen herausragend ist das Aquarius, das in einem hundert Jahre alten Wasserturm untergebracht ist. Ein gläserner, futuristischer Anbau führt die Besucher über Lifts und Treppen in 50 Meter Höhe. Dort können sie auf 14 Etagen alles Wissenswerte über Wasser erfahren und vieles selbst ausprobieren.
Das wohl eigentümlichste Museum, gleichfalls in einem Wasserturm, ist die "Camera Obscura" (dunkle Kammer), die größte begehbare Lochkamera der Welt. Im vollständig abgedunkelten ehemaligen Wasserkessel des Turms 1992 eingebaut, bietet sie ein vollständiges Panorama über das umgebende Gelände bis zum Horizont - auf einer Projektionsfläche von 1,4 Metern Breite.
Auf den unteren Ebenen befindet sich eine lückenlose Dokumentation zur Vorgeschichte des Films, die auf eine faszinierende Reise durch die Welt der visuellen Wahrnehmung, optischen Täuschung und physikalischen Hintergründe bewegter Bilder einlädt.
Mülheim ist - trotz Dunkelkammer - ein Lichtblick im Ruhrgebiet.
Markus Kauffmann, seit rund
25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.
kauffmannsladen@wienerzeitung.at
Kauffmanns Laden