In vielen Kulturen ist die Partnerwahl auch ein Transfer von Geld- und Sachwerten. Eine kulturübergreifende Perspektive.
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Im Rahmen von Debatten um so- genannte Importbräute kehrt ein befremdendes Narrativ immer wieder: die gekaufte Frau. Dabei wird die Brautgabe als Brautpreis missverstanden. Ein ethnologischer Blick auf Heirat und Ehe offenbart, dass vielerorts zu einer gelungenen Beziehung mehr gehört als Liebe, Hormone und Schmetterlinge im Bauch.
Es ist in westlichen Kulturen üblich geworden, eine Eheschließung ausschließlich als Angelegenheit zwischen zwei Personen zu feiern, die niemanden sonst etwas angeht. Ethnologisch gesehen ist eine solche Gesinnung eine Ausnahmeerscheinung, eine Eigentümlichkeit liberaler Industriegesellschaften, die sich innerhalb der letzten hundert Jahre herausgebildet hat.
Anderswo auf der Welt krönt eine Heirat nicht primär das Glück von zwei Menschen, sondern sichert die Verbindung von zwei Familien oder zwei sozialen Einheiten, schmiedet Allianzen, schafft Gruppenzugehörigkeiten und stärkt ökonomische Positionen. Um solcherart Netzwerke zu schaffen, werden nicht nur Heiratspartner, sondern auch materielle Werte zwischen den Parteien verhandelt. Sowohl Geld als auch Sachleistungen, Mobiles und Immobiles wechseln die Besitzer. Die einen geben, die anderen nehmen, der Gütertransfer ist unmittelbar an die Eheschließung gekoppelt, aber er kann in verschiedenen Richtungen erfolgen, als Brautgabe und/oder als Mitgift.
Die Brautgabe
Die Brautgabe fließt vom Bräutigam oder dessen Verwandtschaftsgruppe zur Familie der Frau. Inzwischen wird seltener vom Brautpreis gesprochen, weil der Preis die Assoziation zu materiellem Wert, zu Kauf und Verkauf begünstigt. Frauen werden nicht gekauft. Die Brautgabe ist eine Transferleistung an die Verwandtschaftsgruppe der Frau, die eine Angehörige, eine Arbeitskraft und ein Glied in der Netzwerkkette verliert.
Das andere Element des Wertetransfers, die Mitgift, ist, wenn man so will, das Gegenteil der Brautgabe; der Unterschied liegt in der Richtung, in der die Übermittlung erfolgt, hier bezahlen die Eltern der Braut an den Bräutigam oder dessen Familie.
In der ethnologischen Literatur werden - zurückgehend auf Jack Goody - Heiratstransaktionen, Besitzverteilung und Eheformen in Beziehung gesetzt: Die Brautgabe - eben der Transfer von Werten an die Familie der Frau oder die Frau selbst - gehe Hand in Hand mit Polygynie (ein Mann heiratet mehrere Frauen). Die Mitgift - Güter werden von den Brauteltern der Tochter in die Ehe mitgegeben - hingegen wurde in Zusammenhang gebracht mit Hypergamie (die Frau heiratet sozial nach oben) und einer Tendenz zur Monogamie. Diese Korrelation von Kulturelementen wird natürlich als zu verallgemeinernd kritisiert, aber als Grundgerüst ist sie praktisch, und man kann darauf aufbauen.
Jedenfalls ist unumstritten, dass der Transfer von Personen im Rahmen einer Eheschließung eine ökonomische Komponente aufweist. Denn die Brautgabe ist dann besonders hoch, wenn die Frau als unverzichtbare Arbeitskraft wesentlich zum Haushaltseinkommen beisteuert. Folgerichtig ist es bei der Mitgift genau umgekehrt. Betrachtet man deren Relation zur Arbeitskraft, muss man feststellen, dass sie dort vorkommt, wo die weiblichen Familienmitglieder nicht außer Haus tätig sind, um zur Existenzsicherung beizutragen: im feudalen Europa, in den Kreisen der Reichen, wo die soziale Funktion von Frauen in der Reproduktion besteht, in Kinderaufzucht, Repräsentation und Haushaltsführung. Gesellschaftlich sollte der weibliche Anteil als gleichrangig zum Beitrag von Männern gewertet werden, ein Anliegen der feministischen Agenda, dessen Erfolg bescheiden ist. Denn es sind Männer, die durch ihre Außenbezüge das Geld in die Familie hineinbringen, während Frauen, um den Haushalt in Schwung zu halten, dieses wieder nach außen abführen.
Die Mitgift
Um es überspitzt zu formulieren: Wo Frauen Geld nicht verdienen, sondern ausgeben, daher Kosten verursachen, dort muss der Vater bezahlen, um die Tochter verheiraten zu können. Diese Zahlung ist die Mitgift.
Für den islamischen Bereich ist die Brautgabe im Koran (2,229; 4,4) festgelegt und steht der Braut zu und nicht ihrer Familie. Sie ist in diesem Falle nicht als Entschädigung für den Verlust eines Mitglieds und einer Arbeitskraft zu werten, sondern als soziale Absicherung für Frauen.
Was im 7. Jahrhundert festgelegt wurde, hat sich freilich im Laufe der Zeit und über große Räume hinweg an lokale Bedingungen, familiale/männliche Interessen und Machtstrukturen angepasst. Von den vielen Variationen und Funktionen der Brautgabe sei hier eine wichtige - die vom Propheten Mohammed intendierte - hervorgehoben: Sie dient der sozio-ökonomischen Absicherung von Frauen, denn häufig wird sie nicht bei der Hochzeit ausbezahlt, sondern stellt eine Art Rücklage dar, die nur beim Vollzug einer Scheidung oder beim Tode des Gatten fällig wird. In diesem Fall gibt die nicht ausbezahlte Transferleistung der Frau ein erhebliches Druckmittel in die Hand, denn die Trennung bedeutet einen nicht unbeträchtlichen finanziellen Verlust für den Gatten und gegebenenfalls dessen Verwandtschaftsgruppe.
Der Betrag richtet sich nach den lokalen Umständen und der Bedeutung der weiblichen Arbeitskraft und wird im Rahmen der Eheverhandlungen festgesetzt. Er kann eine symbolische Münze sein, ein paar Tausend Euro betragen oder die Höhe von ein bis zwei Jahresgehältern erreichen. In Internetforen finden sich lange Diskussionen darüber, welche Summe angemessen sei, und eine Braut, die zu viel verlangt, wird als geldgierig verschrien.
Die immer wieder anzutreffende wohlmeinende - zuweilen auch von Feministinnen erhobene - Forderung, den Brautpreis abzuschaffen, weil er unmoralisch sei und die Frau zu einer Ware degradiere, beruht demnach auf einer Fehlinformation und Fehleinschätzung, weil die Brautgabe sich tatsächlich als statuserhöhend auf Frauen auswirkt. Bei der Mitgift hingegen ist es genau umgekehrt, und dort tritt der ökonomische Charakter mindestens ebenso deutlich zu Tage. Eine Braut mit großer Mitgift kann nach oben heiraten. Zahlreich sind die Geschichten um verarmte Adelige, deren Söhne reiche amerikanische Töchter heiraten mussten, um Schlösser und Besitztümer vor dem Verfall und vor der Steuergesetzgebung für die Nachkommen zu retten - ein Narrativ, das die Vorlage bildete für Theaterstücke, Filme und Romane, auch Kriminalromane: Agatha Christie, Edgar Wallace, Rosamunde Pilcher schufen große Auflagen mit dem Thema.
Teure Töchter
Der entgegengesetzte Fall ist eine Familie, die ihrer Tochter nur wenig mitgeben kann, was deren Heiratschancen verringert. Dies kann so weit gehen, dass Ehepaare sich Töchter nicht mehr leisten können, wie in weiten Teilen Indiens, wo im Rahmen einer geschlechtsselektiven Familienplanung weibliche Embryonen sehr viel häufiger abgetrieben werden als männliche. Da diese Praxis zu einem Frauenmangel geführt hat, wurde pränatale Geschlechtsdiagnostik inzwischen verboten.
Nicht, weil Frauen nicht angesehen sind, werden weibliche Föten abgetrieben - dies ist der Irrtum, dem westliche Beurteilungen oft erliegen. Es ist zu teuer, ein Mädchen in die Welt zu setzen, denn man kann das Heiratsgut nicht aufbringen, all die geforderten Haushaltsgeräte, Konsumgüter, Schnickschnack, Autos und Liegenschaften. Zwar sind Mitgiftzahlungen in Indien schon seit 1961 verboten, aber Hochzeitsgeschenke sind erlaubt, und so ist Mitgift ein einfaches Mittel, um zu Geld zu kommen - wenn man einen Sohn hat.
Andererseits gibt es aber immer weniger Töchter, sodass sich auch - scheinbar widersprüchliche - Entwicklungen abzeichnen. Was knapp ist, ist gewöhnlich wertvoll und begehrt. Viele Männer finden keine Frau, preisen in Heiratsinseraten nicht nur ihre Vorzüge (bedeutende Studienabschlüsse, glänzende Berufsaussichten) und Tugenden (raucht nicht, trinkt nicht, ist fleißig, ehrlich und treu), sondern werben mit Verzicht auf die Mitgift. Es wurde auch spekuliert, ob die Vergewaltigungen, die in letzter Zeit in europäischen Medien immer wieder für Aufregung sorgten, mitverursacht würden durch den Männerüberschuss in vielen Regionen Indiens, der auch statistisch belegt ist.
Statussymbolik
Früher war in Indien die Brautgabe bei den niedrigen Kasten weit verbreitet, in jenen nämlich, in denen Frauen immer schon mitarbeiten mussten. Nur die Angehörigen der obersten, angesehensten Kaste, der Brahmanen, konnten den Töchtern etwas mitgeben. Da es aber auch in der indischen Gesellschaft üblich ist, sich nach oben zu orientieren, wurde Brautgabe zunehmend zum Stigma für niedrige Kastenzugehörigkeit. So wurde immer mehr in Nacheiferung der Reichen zum Geschenktransfer an die Verwandtschaftsgruppe des Bräutigams übergegangen. Mitgift bedeutet hoher Status für die zahlende Familie und für die empfangende Familie - bloß nicht für die Braut.
Wenn jedoch eine umfangreiche Brautgabe gezahlt wird, bzw. im Falle einer Scheidung ausbezahlt werden muss, wenn die Frau regelmäßig zum Familieneinkommen beiträgt, dann ist sie auch in der sozio-ökonomischen Position, den Respekt einzufordern, der ihr zusteht. Wenn die Armen und der Mittelstand in Indien nicht zur Mitgift übergegangen wären, sondern die Brautgabe beibehalten hätten, bedürfte es nicht eines so hohen Aufwandes an Aufklärungsarbeit und Verboten, um die Geschlechterbeziehungen ökonomisch - und damit sozial - wieder einzurenken.
Natürlich ist die Angelegenheit komplexer, als es hier den Anschein haben mag, es gibt Gesellschaften mit Mitgift und Brautgabe zugleich, es gibt die Aussteuer und die Morgengabe und, nicht zu vergessen, das Erbrecht. Der kulturübergreifende ethnologische Blick muss notwendigerweise im Dienste der Darstellbarkeit vereinfachen, aber festzuhalten bleibt: Brautgabe ist statuserhöhend, Mitgift ist statuserniedrigend für die Frau.
Ingrid Thurner ist Ethnologin und Publizistin, lehrt, forscht und schreibt zu den Themen Mobilitäten, Fremdwahrnehmungen und Anthropologie des Islam.