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Der Donbass hat für Russland zwar nicht einen so hohen symbolischen Wert wie die 2014 annektierte Krim. Dennoch ist er für Moskau wichtig.
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Mariupol/Donezk/Wien. Das Stahlwerk Asowstal in Mariupol war auch in Friedenszeiten kein besonders anheimelnder Ort: Von weither schon kündete eine gewaltige rostbraune Wolke von dem sowjetischen Industriekomplex, der die Luft in Mariupol verpestete. Nun, im Krieg, ist das untertunnelte Werk zum Schlachtfeld geworden, hat der Sturm der russischen Angreifer auf die dort verschanzten ukrainischen Verteidiger begonnen. Von dem Komplex, der dem Oligarchen Rinat Achmetow gehört, ist außer Trümmern nicht mehr viel übrig.
Für Russland hat die Eroberung des gesamten Donez-Beckens, russisch Donbass genannt - ein großer Teil ist ja noch unter ukrainischer Kontrolle -, einen hohen symbolischen Wert. Für Präsident Wladimir Putin geht es darum, den Krieg, den er in seinen Medien unter anderem "Spezialoperation zum Schutz des Donbass" nennen lässt, zu legitimieren. Zwar hat das Donez-Becken für die Russen bei weitem nicht den hohen emotionalen Wert wie die 2014 annektierte Krim, der Urlaubs- und Sehnsuchtsort. Der Donbass ist eine nur wenig einladende Industrieregion, die zahlreiche Kohlegruben und Fabriken beherbergt, die oft hoffnungslos veraltet sind. Als der Donbass noch ukrainisch war, musste er subventioniert werden - heute ich es nicht anders. Dennoch könnte Putin dessen "Befreiung" Russlands Bevölkerung als Erfolg verkaufen. Acht Jahre lang haben Russlands Medien über die unterdrückten Landsleute im Donbass berichtet und über den "Genozid", den Kiew an der dortigen Bevölkerung verübt. Die Eroberung des gesamten Donez-Beckens könnte also - theoretisch - für Putin eine Chance sein, seinen Krieg, in dem er seine Ziele weit verfehlt hat, gesichtswahrend zu beenden - vorausgesetzt, er ist zu Zugeständnissen an Kiew in der Lage.
Der Donbass hatte einst - trotz der eher tristen Gegenwart - eine große Bedeutung für die Industrialisierung der Sowjetunion und des Zarenreiches. Die Kohlevorkommen im vorher kaum besiedelten Steppengebiet wurden seit 1770 abgebaut.
Bewusste Russifizierung?
Das Gebiet galt als "Herz Russlands" und spielte auch bei der Industrialisierung der Sowjetunion unter Stalin eine prominente Rolle. Fast 60 Prozent der sowjetischen Kohle stammte vor dem Zweiten Weltkrieg aus dem "Donezkyj bassejn", der Anteil des Donbass an der sowjetischen Eisen- und Stahlerzeugung war fast ebenso groß. Das Donez-Becken galt als "Schaufenster des Sozialismus", als Schmiede des künftigen "neuen Menschen" - obwohl der Blick in dieses Schaufenster wenig einladend war: Die Arbeiter in dem Gebiet hausten in fürchterlichem Elend, es herrschte permanenter Mangel. Darüber konnte auch die kommunistische Propaganda nicht hinwegtäuschen, etwa die Geschichte des Bergmanns Alexei Stachanow, der in einem Bergwerk im Donez-Becken während einer Schicht im August 1935 sein Plansoll ums Dreizehnfache übererfüllte - und damit zum großen sozialistischen Helden und Vorbild stilisiert wurde.
Dennoch war zumindest bis jetzt die Anhänglichkeit an die Sowjetzeit in Donbass größer als anderswo in der Ukraine. Und auch die an die russische Sprache und Kultur. Kein Wunder: Das Gebiet wurde aus allen Teilen der Sowjetunion besiedelt, viele Russen wanderten im Zuge der Industrialisierung in die neu gegründeten Städte ein. Historiker streiten sich bis heute, ob die Russifizierung des Donbass unter Stalin - die zur selben Zeit vonstattenging wie der "Holodomor", die bewusst herbeigeführte Hungersnot, der Millionen (in erster Linie) ukrainische Bauern zum Opfer fielen - bewusst vorgenommen wurde.