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Gut schreiben erlernt man nicht in Zeitlupe. | Nur durch Fehler lernt man den richtigen Ablauf. | Wien. Kalligraphie ist die Kunst des Schönschreibens - mit der Hand wohlgemerkt. Schön zu schreiben wird auch bald von jenen Kindern erwartet, die seit Beginn dieser Woche erstmals die Schulbank drücken.
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Das Erlernen des Schreibens ist ein komplexer Prozess und eine nicht zu unterschätzende große Herausforderung für viele Erstklässer. Der Akt des Schreibens kann nämlich nur vollzogen werden, wenn das Gehirn mit den Strukturen des motorischen Systems seine zentralnervöse Kontrolle über Handlungsabläufe übernimmt. Das Erlernen des Schreibens wird als sensomotorischer Lernprozess verstanden. Sensorische und motorische Leistungen spielen hier zusammen, wobei die unmittelbare Steuerung und Kontrolle der Bewegungen über die Sinnesorgane erfolgt.
Während traditionelle Lernmodelle von der häufigen Wiederholung einer bestimmten Form - in diesem Fall dem Buchstaben - ausgehen, zeigen erweiterte Ansätze, dass das Suchen nach einer individuellen optimalen Lösung beim Erlernen des Schreibens die sinnvollere Variante darstellt. Das Üben von perfekten Buchstaben erachtet Christian Marquardt, deutscher Sensomotorikexperte, deshalb als nicht zielführend, da hier während des gesamten Schreibprozesses die Form der Buchstaben kontrolliert wird, was die Schreibgeschwindigkeit massiv beeinträchtigen kann. Zu einer automatisierten Motorik kann es nur dann kommen, wenn die Bewegung, nicht aber die Form, während des Schreibens kontrolliert wird. Erst nach Fertigstellung der Buchstaben sollte das Ergebnis kontrolliert und im Bedarfsfall modifiziert werden.
Marquardt betont, dass eine Bewegung dann erlernt wird, wenn sie zügig und nicht in Zeitlupe ausgeführt wird. Jedoch hat dieses schnelle Schreiben negative Auswirkungen auf die Schönheit der Buchstaben. Daher wäre es wichtig, Fehler zuzulassen und nicht zu bestrafen: "Fehler sind wichtig, um zwischen Bedingungen zu unterscheiden, die sich günstig oder ungünstig auf die Form auswirken", sagt Marquardt.
Über Fehler lerne man auch ohne Zutun, denn nur so können intrinsische Abläufe optimiert werden. Wird der motorische Prozess des Erlernens des Schreibens mit dem des Gehen-Lernens von Kleinkindern verglichen, so gelten hier die gleichen Prinzipien. Nur durch das Hinfallen - durch den "Fehler" - lernt das Kind den richtigen motorischen Ablauf und modifiziert die Bewegung jedes Mal aufs Neue.
Adäquates Schreibgerät
Das Langsam-Schreiben ist durch ein hohes Kontrollniveau gekennzeichnet, welches Kinder oft überfordert und anstrengt. Wenn sich Schreibprobleme entwickeln - welche sich zumeist in Form von Schmerzen oder Verkrampfungen zeigen -, sollten einerseits die Sitzhaltung und die Armstellung des Kindes beobachtet werden, andererseits sollte das verwendete Schreibgerät auf seine "Kindertauglichkeit" geprüft werden. Das Schreibgerät sollte ergonomisch an die kindliche Hand und die Bedürfnisse von ungeübten Schreibern angepasst sein. Marquardt erklärt, dass ein Stift, der zu viel Feinmotorik verlangt, das Kind überfordert. Das Schreibgerät sollte an die Steuerungsfähigkeit der kleineren Gelenke angepasst sein und sollte schwerer und dicker sein als das der geübten Schreiber.
Die Kompetenz von Eltern und Pädagogen ist gefragt, wenn es um Prävention von Schreibproblemen oder um die Korrektur von falsch eingelernten Mustern geht. Zu Beginn des Schreibens sollte der Fokus weniger auf eine genaue Einhaltung der Form gelegt werden, und die vorhandenen Kompetenzen der Kinder sollten besser genutzt werden, so Marquardt Schlussfolgerungen seiner Studien: Auch eine frühzeitige Erhöhung der Schreibgeschwindigkeit sowie die Förderung einer effizienten Schreibtechnik spätestens ab der dritten Klasse sind wichtige Komponenten in der Erlernung eines guten Schreibstils, sagt Marquardt.