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Die eigenen Grenzen kennen

Von Ulrike von Leszczynski

Wissen

Wenn der Psychologe Ralf Krampe im Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Senioren begrüßt, geht es nicht um Kaffeekränzchen. Seine 60 bis 80 Jahre alten Gäste lassen sich im Labor des Hauses auf ihre Gedächtnisleistung und ihre motorischen Fähigkeiten testen.


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So verhelfen sie Krampes Forschergruppe zu neuen Einsichten über das Altern. Die neuste Erkenntnis: Schwierige Bewegungen und große Denkleistungen in einem sind für Senioren schwierig. Die Konzentration auf eine Sache zur gleichen Zeit ist dagegen bis ins hohe Alter möglich.

Krampes Lieblingsbeispiel ist der Haushalt. "Das ist der gefährlichste Ort für alte Menschen", urteilt der Psychologe. Steigt beispielsweise eine Seniorin auf einen Stuhl, um ein hohes Regal zu erreichen, ist das riskanter als in der Jugend - aber nicht unmöglich. "Schwierig wird es erst, wenn sich die Frau dabei gleichzeitig angeregt unterhält oder angespannt über eine andere Sache nachdenkt", erläutert Krampe.

Das "Intelligenzkonto" eines alternden Menschen sei mit mehreren schwierigen Aufgaben zur gleichen Zeit einfach überfordert. Das Unfallrisiko steige. "Viele Menschen laufen im Alter Gefahr, sich zu überschätzen", sagt Krampe. Es sei eine große Kunst, mit den eigenen Grenzen zu leben.

Die Erforschung der Leistungsfähigkeit von Senioren ist gefragt. Denn die Zahl alter Menschen wird in den nächsten Jahrzehnten weltweit deutlich zunehmen.

Was im Alter an Motorik und Denksport möglich ist, testeten Krampe und sein Team im hauseigenen sensomotorischen Labor. Sie luden Gruppen von 20 Senioren zu jeweils acht Sitzungen ein. Die Testpersonen absolvierten unter anderem 40 Meter lange Hindernisläufe, während ihnen per Kopfhörer 16 Worte eingeflüstert wurden. Die Forscher registrierten, wie viele Fehltritte sich die Senioren erlaubten und wie viele Worte sie behielten. Verglichen mit Läufen jüngerer Testgruppen hatten bereits die über 60-Jährigen erhebliche Nachteile. "Die gegenseitige Beeinträchtigung von Denken und Gehen war mit steigendem Alter immer deutlicher zu erkennen", sagt der Forscher.

Doch Krampe hat auch gute Nachrichten für die ältere Generation: Gedächtnistraining habe die Leistungen der Senioren bei den Tests in der Regel erheblich gesteigert. "Sie müssen sich aber entscheiden, auf welchem Lerngebiet sie ihre Mühe investieren, alles auf einmal geht nicht mehr", sagt Krampe. Das älteste Mitglied der Forschergruppe, der 63-Jährige Paul Baltes, hat die Ergebnisse der Studien für sich persönlich auf den Punkt gebracht: "Wenn ich aus meinem Sessel aufstehe, muss ich mich einen Moment ganz darauf konzentrieren. Da bleiben meine anderen Denkvorgänge quasi stehen".