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Regierungssprecher widerruft japanischen Atomausstieg. | Kan kämpft um politische Zukunft.
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Tokio. Wirklich populär ist Naoto Kan in Japan schon lange nicht mehr. In der Bevölkerung genießt der Premier, dem immer wieder schlechtes Krisenmanagement bei der Bewältigung der Atomkatastrophe von Fukushima vorgeworfen wird, kaum noch Vertrauen: Nur noch 19 Prozent der Japaner stehen mittlerweile hinter dem 64-Jährigen, der auch innerhalb seiner eigenen Partei mit stark schwindendem Rückhalt kämpft. Anfang Juni war es Kan überhaupt nur durch die Ankündigung seines baldigen Rücktritts gelungen, die eigenen Reihen zu schließen und ein Misstrauensvotum im Parlament zu überstehen. Dass mittlerweile kaum noch ein Tag vergeht, ohne dass der Premier von den Medien Kritik einstecken muss, die für japanische Verhältnisse ungewohnt offen formuliert ist, dürfte Kan da nur noch am Rande irritieren.
Wie isoliert und politisch angeschlagen Kan bereits ist, zeigt sich nun auch schon bei grundsätzlichen Themen. Am Mittwoch hatte Kan - zwar vage, aber doch - den Atomausstieg Japans angekündigt. Sein Land werde "eine zukünftige Gesellschaft ohne Kernkraftwerke schaffen", lautete einer der Schlüsselsätze bei der Pressekonferenz, auf der Kan auch von einem "systematischen Ausstieg in Etappen" sprach. Am Donnerstag trat aber bereits Regierungssprecher Yukio Edano, der einst zu den engsten Vertrauten des Premiers gehört hatte, an die Öffentlichkeit, um ganz unverhohlen zu widersprechen. Die von Kan in Aussicht gestellte Abkehr von der Kernkraft sei nicht offizielle Regierungslinie, sagte Edano. Eine Gesellschaft ohne Atomkraft sei lediglich eine "Hoffnung für die ferne Zukunft". Edano zufolge sind die Aussagen Kans lediglich als Beginn einer nationalen Debatte über Atomenergie zu verstehen. Japan werde zwar den Anteil der Kernenergie reduzieren, seine Atomkraftwerke aber noch viele Jahre nutzen.
Japaner für Ausstieg
Tatsächlich gibt es innerhalb der Regierung in Sachen Atomkraft kaum Wackelkandidaten. Industrie- und Handelsminister Banri Kaieda macht schon seit längerer Zeit massiv dafür Stimmung, die 35 derzeit für Inspektionszwecke abgeschalteten Kraftwerke wieder ans Netz gehen zu lassen. Für die Beruhigung der zunehmend zweifelnden Bevölkerung sollen dabei nach Kaiedas Willen Stresstests sorgen, die bei allen Reaktoren durchgeführt werden sollen. Dass die durchführende Atomaufsichtsbehörde seinem Ministerium untergeordnet ist und daher nicht unbedingt als unabhängig angesehen wird, macht Kaieda da kaum Kopfzerbrechen.
Ebenso strikt wie der Industrie- und Handelsminister hat sich auch Finanzminister Yoshihiko Noda dem Atomkurs verschrieben. Noda, der seit dem Misstrauensvotum im Juni schon ganz offiziell die Nachfolge Kans anstrebt, fiel seinem Premier noch gleich am Mittwoch in den Rücken. Er mache sich Sorgen um die Energieversorgung, wird Noda von der "Süddeutschen Zeitung" zitiert. Ähnlich hatten sich bisher auch schon die anderen Regierungsmitglieder von Kans Demokratischer Partei geäußert. Japan, so heißt es seitens der politischen Elite immer wieder, sei auf den Atomstrom angewiesen.
Allerdings steht die Politik mit dieser Haltung mittlerweile in deutlichem Widerspruch zur Bevölkerung. Mehr als 70 Prozent der Japaner sind laut den jüngsten Umfragen gegen eine Wiederinbetriebnahme der abgeschalteten Reaktoren. Mit seinem radikalen Schwenk in Richtung der Mehrheitsmeinung wollte sich Kan also offenbar in letzter Minute den Verbleib an der Macht sichern.
Dossier: Fukushima