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Die Einschläge kommen näher

Von Michael Schmölzer

Politik

Russland nimmt Ziele unweit der EU-Außengrenze ins Visier, um den Nachschub an westlichen Waffen zu unterbinden.


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Der Krieg in der Ukraine weitet sich mit jedem Tag aus. So war es im Westen des riesigen Landes bis dato noch relativ ruhig.

Das ändert sich jetzt, denn die russische Seite ist verstärkt dazu übergegangen, Flughäfen und andere Ziele in der Nähe der polnischen Grenze anzugreifen. So wurde der Militärflughafen der Stadt Luzk, nur 60 Kilometer von der EU-Außengrenze entfernt, bombardiert. Der Schaden ist beträchtlich. Über dem Militärflughafen bei Iwano-Frankiwsk, ebenfalls im Westen des Landes, stiegen schwarze Rauchwolken auf.

Die Angriffe wurden offenbar von russischen Bombern ausgeführt, zum Einsatz kamen aber auch die gefürchteten, laut Moskau "hochpräzisen" Langstreckenwaffen. Beide Militärflughäfen sind nicht mehr benutzbar. In der zentralukrainischen Stadt Schytomir wurden zuvor Munitionsdepots mit Panzerabwehrwaffen zerstört, wie es aus Moskau heißt.

Westliche Waffenlieferungen rund um die Uhr

Den Generälen in Moskau muss es langfristig darum gehen, die Nachschubwege für westliche Waffen in die Ukraine zu unterbrechen. Denn die Bereitschaft der Nato und der EU-Staaten, den angegriffenen Ukrainern mit militärischem Gerät unter die Arme zu greifen, ist hoch. Die EU will jetzt die Militärhilfe sogar auf eine Milliarde Euro verdoppeln.

Die Waffenlieferungen laufen rund um die Uhr, es ist ein Wettrennen gegen die Zeit. Die Logistik-Zentren liegen in Polen und Rumänien. Das Gerät wird mit Großraumflugzeugen aus 20 westlichen Ländern eingeflogen und ausgeladen, darunter Raketenwerfer, Boden-Luftraketen, Sturmgewehre, Anti-Panzer-Lenkwaffen. Per Lkw geht es dann im Konvoi über die Grenze in die Ukraine. Wobei es mit dem Vorrücken der russischen Armee zunehmend schwieriger wird, die Waffen dorthin zu bringen, wo die Kämpfe hauptsächlich stattfinden: Nach Kiew, Charkiw und in den Süden. Auf dem Luftweg kann die Ukraine längst nicht mehr mit Waffen versorgt werden, das Risiko, von russischen Kampfjets oder Boden-Luft-Raketen abgeschossen zu werden, ist viel zu groß.

In Lemberg befinden sich zudem Rekrutierungsbüros, die ausländische Kämpfer nach kurzer Überprüfung nach Osten an die Front schicken. Auch dieser Nachschubweg soll nach russischen Plänen abgeschnitten werden.

Noch steckt Putins Armee vor Odessa, Charkiv und Kiew fest, doch niemand kann ausschließen, dass einander demnächst russische und Nato-Soldaten an der polnischen, slowakischen, ungarischen oder rumänischen Grenze Auge in Auge gegenüberstehen. Dann wäre die Nato nicht weiter an Russland herangerückt - wie Russlands Präsident Wladimir Putin das stets befürchtet hat -, sondern Russland an die Nato.

Noch sind Russlands Panzer 400 Kilometer entfernt

Allerdings muss Moskau damit rechnen, dass die Kampfbereitschaft im Westteil der Ukraine noch höher ist als im Osten - und schon dort stellen sich unbewaffnete Zivilisten den Panzern der Invasoren entgegen.

In Lemberg sind bereits Plakate mit der Aufschrift "Russischer Soldat - verpiss dich" affichiert. Fensterscheiben werden abgeklebt, auf den Zufahrtsstraßen gibt es Checkpoints, die mit Panzersperren, Stacheldraht und Sandsäcken verstärkt sind. Zivilisten richten sich darauf ein, längere Zeit in ihren Kellern zu verbringen. Auch wenn russische Panzer noch mehr als 400 Kilometer entfernt sind, will man in Lemberg vorbereitet sein.

Und während tausende Freiwillige aus der ganzen Welt in die Ukraine kommen, um dort gegen Russland zu kämpfen, kündigt Putin seinerseits an, verstärkt Söldner ins Gefecht schicken zu wollen. 16.000 Freiwillige aus dem Nahen Osten sind angeblich bereit, für die "Befreiungsbewegung" mit den prorussischen Rebellen zu kämpfen.

Bei der Ankündigung geht es wohl darum, im direkten Vergleich mit der Ukraine nicht ins Hintertreffen zu geraten. Zudem würde der Einsatz von Söldnern die Zahl der russischen Gefallenen senken. Die hohen Verluste - die Rede ist von bis zu 10.000 zumeist jungen Männern nach nur zwei Wochen Krieg - werden für Putin mittelfristig innenpolitisch zum Problem. Dazu kommt, dass Kämpfer etwa aus Syrien weniger Skrupel als russische Soldaten haben, gegen Ukrainer ins Feld zu ziehen.

Die UNO prüft bereits jetzt, ob Russland Menschenrechtsverbrechen begangen hat. Der Einsatz chemischer Waffen ist noch nicht dokumentiert, nach Angaben der WHO sind aber mindestens 26 Gesundheitseinrichtungen angegriffen worden. Die Rede ist auch von "offenbar wahllosen Angriffen", bei denen Zivilisten getötet und verletzt wurden. Russische Streitkräfte setzten in der Nähe von bewohnten Gebieten Raketen sowie schwere Artilleriegranaten ein und griffen aus der Luft an. Es gibt glaubhafte Berichte über den Einsatz von Streumunition.

Und am Freitag mehrten sich die Anzeichen, dass der russische Angriff auf Kiew langsam anrollt. Die Kämpfe werden langwierig und heftig. Was das für die in der Stadt verbliebenen Zivilisten bedeutet, lässt die schlimmsten Befürchtungen aufkommen.