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Die Elefantenkuh und die Überhöhung der Mathematik

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

Wenn schon eine EM nicht mehr das ist, was sie einmal war, muss ein Orakel auch kein Krake sein.


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In Zeiten eines Fußball-Großereignisses beginnen ja bekanntlich selbst jene zu hyperventilieren, bei denen Sport ansonsten nur dann die Wahrnehmungsschwelle erreicht, wenn von Korruption, Doping und Schiebung die Rede ist. Also kann man das durchaus auch einer Elefantenkuh zugestehen. Eine solche, namentlich eine gewisse Zella aus dem Stuttgarter zoologischen-botanischen Garten Wilhelma, hat sich schon früh festgelegt: Nordirland und Belgien kommen ins Finale, die Debütanten von der Insel gewinnen, die deutschen Weltmeister dagegen kassieren schon in ihrem Auftaktspiel der Gruppe C gegen die Ukraine eine Niederlage, holen gegen Polen nur ein Unentschieden, zum Trost aber gegen die späteren Sieger volle drei Punkte. Ein durchaus gewagter Tipp, aber wenn man als Elefantenkuh einmal 49 Jahre auf dem Buckel und zwölf Europameisterschaften erlebt hat, schert man sich eben nicht mehr wirklich um Statistiken, Papierform, Namen und Marktwert der Spieler. Und immerhin lebt eine Europameisterschaft - wie Großereignisse generell - ja zumindest auf der emotionalen Ebene auch von den Unvorhersehbarkeiten, von den Unwägbarkeiten, den kleinen Überraschungen und großen Sensationen. Insofern ist Zellas Zugang vielleicht sogar manchem näher, als es die Computerprogramme sind, mit denen nach mathematischen Wahrscheinlichkeiten und Formeln die Sieger errechnet werden. Ein solches hat wiederum Hardy Hanappi, Sohn des legendären Gerhard Hanappi, in einem Projekt an der TU Wien erstellt; es hat die Österreicher vor Portugal als Sieger der Gruppe D, Deutschland als Zweiten seines Pools ausgespuckt. Während die Berechnung der Gruppenphase abgeschlossen ist, folgt jene der K.o.-Phase erst später. Auch nicht gerade mutig.

Andererseits: Die einzelnen Partien vorherzusehen, wird für den Otto-Normal-Tipper immer schwieriger. Zwar war es aufgrund der auf 24 Mannschaften ausgeweiteten EM noch nie so schwierig, sich durch das Turnier bis ganz an die Spitze zu kämpfen, doch viele Fragen sind noch offen. Wie werden die fünf Debütanten - plus die Österreicher - dem Rummel standhalten, wie die französischen Gastgeber den Heimdruck sowie das Rundherum, durch das diesmal inklusive Terrorangst und Rassismus-Debatte besonders viel auf das Nationalteam projiziert wird, ausblenden können? Was, wenn England in ein Elfmeterschießen kommt oder Stars, um die herum bestimmte Mannschaften aufgebaut sind, sich früh verletzen? Schließlich erhöht die Vielzahl der Spiele auch dieses Risiko.

Nicht nur deswegen hat die Erweiterung des Teilnehmerfeldes nicht nur Freunde. Denn auch bei den Fans könnte sie sich schon in der ersten Turnierhälfte in leichten Ermüdungserscheinungen niederschlagen. Immerhin bekommen so aber kleine Teams die Chance auf ihre 90 (zumindest) mal drei Minuten Ruhm, die Sponsoren eine breitere Plattform und die TV-Anstalten ihre Quoten. Und dann gibt es ja auch noch Zella und Co.: Denn wenn schon eine Europameisterschaft nicht mehr das ist, was sie einmal war, muss ein tierisches Orakel ja auch nicht Krake Paul, der animalische Wett-Star der WM 2010, sein.