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"Finanzielle Repression" kehrt zurück: Wie sich Staaten der Schulden entledigen.
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Wien. Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, dass Staatsanleihen als Richtschnur für sichere Veranlagung galten. Die Umschuldung Griechenlands, die erste Staatspleite in Westeuropa seit 60 Jahren, hat das als Märchen entlarvt. Was heißt das für den Staatsanleihen-Markt?
Die Frage birgt Sprengstoff, denn es geht um gigantische Beträge: Allein 2012 müssen die elf größten Wirtschaftsnationen mehr als 7600 Milliarden US-Dollar an Staatsschulden durch neue Kredite ablösen. Womit gerade einmal Altlasten getilgt werden.
Kein Wunder, wenn da Investoren an der Nachhaltigkeit zweifeln. Droht ein "Bärenmarkt" für Staatsanleihen, wird der Wert der Schuldtitel also dauerhaft fallen und werden die Zinsen höher klettern? Davor haben Analysten der Schweizer Großbank UBS kürzlich gewarnt.
"Ich mache mir eher Sorgen, dass wir in eine Phase mit dauerhaft negativen Realzinsen kommen", sagte hingegen Deutsche-Bank-Chefökonom Thomas Mayer Ende März bei einer Bloomberg-Konferenz. "Ich fürchte, wir steuern auf ein repressives Regime im Stil der 1970er Jahre zu."
Negative Realzinsen gibt es dann, wenn die Teuerung rascher voranschreitet, als das Geld Zinsen abwirft. Die Folge ist ein Kaufkraftverlust. Diese Erfahrung kann derzeit jeder Sparer machen: Die Zinsen liegen unter der Inflationsrate. Dasselbe Phänomen trifft aber auch institutionelle Investoren bei Staatstiteln wie US-Treasuries oder deutschen Bundesanleihen, die weniger Rendite abwerfen, als die Inflation ausmacht. Es handelt sich also um eine schleichende Enteignung der Sparer und Gläubiger und einen Vermögenstransfer in Richtung der Kreditnehmer: in diesem Fall die Banken und der Staat.
"Finanzielle Repression" ist ein Schlagwort, das bereits in die Jahre gekommen war, jetzt aber von Ökonomen wieder öfter in den Mund genommen wird. Es bedeutet, dass der Staat (mehr oder minder sanft) Druck ausübt, um Geldströme zu lenken. Die Maßnahmen können dabei von der Manipulation der Zinsen über Kapitalverkehrskontrollen bis zu Vorschriften reichen, welche Investments in Staatspapiere begünstigen oder (etwa für Pensionsfonds) sogar vorschreiben.
"In unseren Volkswirtschaften ist ausreichend Vermögenssubstanz zur Lösung der Staatsschuldenkrise vorhanden", analysiert Investmentprofi Markus Schuller von Panthera Solutions in Monaco nüchtern. Schließlich sei parallel zu den Staatsschulden das Privatvermögen massiv gestiegen.
Die politisch billigste Option
Finanzielle Repression ist zwar nur eine von fünf Methoden, mit denen Staaten in der Vergangenheit Schulden abgebaut haben, schreibt Carmen Reinhart, die sich intensiv wie kein anderer Ökonom mit dem Thema Schuldenkrisen beschäftigt hat. Speziell in Kombination mit geringfügig erhöhter Inflation habe Repression jedoch große politische Vorteile gegenüber den vier anderen Optionen. Denn: Wachstum lässt sich nicht herbeizaubern. Sparpakete und höhere Steuern erzeugen Widerstand bei den Wählern. Mit einer Staatspleite oder Umschuldung wird das Vertrauen der Anleger verspielt. Und eine hohe Inflationsrate senkt die Schulden nur, wenn sie überraschend auftritt: Sobald die Investoren damit rechnen, verlangen sie höhere Zinsen und Renditen.
Ein weiterer "Vorteil": Weil die Enteignung über negative Realzinsen schleichend passiert, wird sie kaum als Belastung wahrgenommen. Lange Phasen mit negativen Zinsen gab es im Zeitraum von 1945 bis 1980 - und es gibt sie seit der Krise von 2008. Einer der Gründe ist, dass die Zentralbanken bei Staatsanleihen in großem Stil als Käufer eingesprungen sind und mit "geldpolitischer Lockerung" (Geld drucken) die Zinsen tief halten.
Aus Staatssicht entscheidend ist, dass das Geld nicht dorthin abfließt, wo höhere Zinsen zu lukrieren wären. Manche Ökonomen erwarten daher eine Renaissance des geregelten Währungssystems, das es nach dem Zweiten Weltkrieg gab ("Bretton-Woods", bis 1973). Vermutlich wird es das aber nicht brauchen: Die Realzinsen sind ohnehin in allen großen Industriestaaten negativ. Schwellenländer haben ihrerseits Interesse zu verhindern, dass zu viel Geld ins Land strömt und die Währungen aufwertet, weil das den Exporten schadet.
Nicht zuletzt werden Staaten von den Finanzmarktregeln begünstigt. Banken müssen Staatsanleihen aus OECD-Ländern nicht mit Kapital unterlegen. Obwohl die Schuldenkrise die Risikofreiheit der Papiere widerlegt hat, gibt es bei den neuen Liquiditäts- und Kapitalvorschriften ("Basel III") keine Bestrebungen, das zu ändern.