Seit Mittwoch steht fest: Machthaber Joseph Kabila verzichtet im Kongo auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur.
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Kinshasa. Die Uhr tickt. Das ganze Land ist seit Wochen in Wartestellung. Am Mittwochnachmittag um 16.30 Uhr lief die Frist ab, bis zu der die Kandidaten der Wahl in der Demokratischen Republik Kongo ihre Formulare einreichen konnten. Erst knapp zwei Stunden davor wurde der Wunschkandidat von Präsident Jospeh Kabila bekanntgegeben: Emmanuel Ramazani Shadary, Ex-Innenminister und Generalsekretär von Kabilas Partei (PPRD).
Für Beobachter ist diese Wahl kein Zufall. Shadary gilt als schwache Persönlichkeit ohne eigenes Machtnetzwerk. Er soll keinen Einfluss auf die mächtigen Generäle im Militär haben. Im Hintergrund bleibt Kabila der starke Mann.
Zwei Jahre lang hat Kabila das Land mit einer gezielten Unsicherheit in Schach gehalten. Die Frage war: Wird er erneut antreten? Der 47-Jährige ist seit dem Tod seines Vaters im Jahr 2001 an der Macht. Vor zwei Jahren lief seine offizielle, laut Verfassung gegebene zweite Amtszeit ab. Doch Neuwahlen anzusetzen - das hat die Regierung gezielt verschleppt. Immer wieder wurden Gründe gefunden, warum dies nicht passieren konnte: fehlendes Geld, die landesweite Neuregistrierung der Wähler, zu viel Chaos und Krieg in manchen Regionen des Landes. Erst seit wenigen Monaten steht nun ein Wahltermin fest: der 23. Dezember. Seitdem spekulieren die Kongolesen über die Zukunft ihres Landes.
Tagelang herrschte Anspannung in der Hauptstadt Kinshasa. Hundertschaften von Polizisten umzingelten die Wahlkommission (Ceni), die an einem breiten Boulevard liegt. Mit seinen Sicherheitszäunen und Kontrollschranken wirkte das Gebäude wie ein Gefängnis.
Seit dem 25. Juli waren landesweit Kandidaten geladen, hier im vierten Stock ihre Präsidentschaftskandidatur einzureichen. Vor einer Woche war Jean-Pierre Bemba von der Partei MLC (Befreiungsbewegung für den Kongo) der erste. Er war aus Brüssel eingeflogen, nachdem er erst im Juni nach zehn Jahren Haft vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag freigesprochen worden war.
Ceni-Sprecher Jean Pierre Mulumba, ein Mann im feinen Anzug, zeigt auf eine ausgedruckte Statistik auf seinem überladenen Schreibtisch. Am Vormittag vor Ablauf der Frist stehen darauf gerade einmal vier Namen - außer Bemba niemand, der tatsächlich Chancen haben könnte.
Ausschluss von Oppositionellen
Und ein entscheidender Name fehlt: Moise Katumbi, Chefkandidat der Oppositionsplattform "Gemeinsam für Veränderung". Der Ex-Gouverneur der mineralienreichen Provinz Katanga und einstiger Kabila-Vertrauter war erst gar nicht ins Land gelassen worden. Die Polizei drohte mit Verhaftungen, sollte er die Grenze überschreiten. Der Grund: Es ist noch immer ein Gerichtsverfahren anhängig. Als er von Sambia aus in den Kongo einreisen wollte, ließen ihn die Behörden nicht hinein. Seine Anhänger protestieren daraufhin in Lubumbashi, der Provinzhauptstadt Katangas, doch die Polizei ging mit Tränengas und Kugeln gegen sie vor.
Kurz nach dem Gespräch muss Ceni-Sprecher Mulumba die Liste aber doch noch einmal erweitern. Vor seinem Fenster tummeln sich tausende Anhänger der Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt). Sie sind ihrem Vorsitzenden Felix Tshisekedi, der nun auch kandidiert, gefolgt. Unterwegs wurden sie von Polizisten mit Tränengas beschossen, erzählen sie.
Fiston Mboyo, UDPS-Bezirksvorsitzender der Stadtteils Gombe, steht verschwitzt in der Menge: "Die Wahlkommission muss garantieren, dass wir - das Volk - die Macht haben und die Wahl nicht von der Präsidentschaft manipuliert wird", schreit er. Die Menschen vor dem Ceni-Gebäude sind aufgebracht. Ärger und Frustration sind ihnen ins Gesicht geschrieben. "Wenn Kabila selbst oder einer seiner Leute an der Macht bleiben, dann ist die Ceni verantwortlich für all das Blut, das dann vergossen wird".
Der Frust der Kongolesen ist Folge der Unsicherheit im Land - zu der Kabila selbst am meisten beigetragen hat. Bis zwei Stunden vor Ablauf der Frist wussten die Kongolesen nicht, welchen Kandidaten die Plattform des noch amtierenden Präsidenten ins Rennen schicken wird.
Die Ungewissheit ist Teil eines Machtspiels, so Pamphile Ngoma, Politikprofessor an der Universität von Kinshasa. Er beschreibt das politische System Kongos als "machiavellistisch". Die politische und militärische Elite versuche, mit allen Mitteln an der Macht zu bleiben, das garantiere Zugang zu Ressourcen und Reichtümern. "Ihre Mentalität ist komplett korrumpiert", so Ngoma. Sie fürchte freie und faire Wahlen, denn dann würden die Wähler sie "abstrafen". Ein typisches Symptom eines kleptokratischen Systems.
Auch Ngoma zweifelt, dass Ende des Jahres Wahlen stattfinden werden. "Spätestens am Tag nach dem Fristablauf wird sich die Lage aufheizen", sagt er und meint einen erneuten, drohenden Krieg. Wenn die Opposition keine Chance sieht, politisch zu gewinnen, wird sie die militärische Karte ziehen, fürchtet er.
Gefährliche Bündnisse
Anzeichen dafür gibt es schon: MLC-Kandidat Bemba ist ein früherer Warlord, der sich einst sein Vizepräsidentenamt in Kinshasa mit Waffengewalt erkämpft hatte, damals mit Unterstützung Ugandas. Der nicht zur Wahl zugelassene Katumbi hat mit dem kongolesischen Rebellengeneral der M23 (Bewegung des 23. März) Kontakte aufgenommen. Und auch Kabila rüstet sich: Erst vor wenigen Tagen hat er seine Armee reformiert, seine loyalsten Generäle auf entscheidende Positionen gehievt. "Letztlich wird der militärische Plan als letzte Option übrig bleiben", so Ngoma.
"Wir haben keine Kultur der Gewaltfreiheit - das ist das große Probleme", so Enoch Nyamwisi von der Jugendbewegung LaLUCHA. Der 24-jährige Politikstudent hat am Morgen des Fristauflaufs die Bevölkerung zum friedlichen Protest vor der Ceni aufgerufen. An freie und faire Wahlen glaubt er nicht. "Wir werden niemals einen dieser Kandidaten unterstützen", gibt er klar zu verstehen. Der Grund: "Mit oder ohne Kabila - das System, das er geschaffen hat, wird sich nicht ändern", so Nyamwisi: "Die politische Familie wird an der Macht bleiben."