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Die Empörten sind zurückgekehrt

Von Ralf Streck

Europaarchiv

Spaniens Protestbewegung macht vor den Parlamentswahlen wieder mobil.


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Madrid. Sie sind gekommen um zu bleiben, zumindest bis zum 20. November. Wie schon vor den Kommunal- und Regionalwahlen in Spanien im Mai haben die "Indignados" (Empörten) vor den Parlamentswahlen wieder mit Platzbesetzungen begonnen. Sie haben nun den zentralen Platz in der katalanischen Hauptstadt wieder besetzt. Die Polizei schreitet nicht ein, nachdem sie Ende Mai tausende Menschen mit Gewalt vertrieben hat. Die Zahl der Empörten, die nun wieder eine Zeltstadt im Herzen Barcelonas errichten, ist auf mehrere Hundert angewachsen.

Der "Plaza Catalunya" war mit dem zentralen Platz in Madrid (Puerta del Sol), das Aushängeschild der Bewegung, als im Mai und viele Plätze im ganzen Land in Dauer-Protestversammlungen gegen die schweren Einschnitte ins Sozialsystem verwandelt wurden, welche die einfache Bevölkerung in der tiefen Krise ertragen muss. Die Demokratiebewegung, die sich über die Plattform "Wahre Demokratie Jetzt" inzwischen weltweit verbreitet hat, interveniert nun auch in diesen Wahlkampf. Um über den Winter Versammlungsorte zu haben, werden nun auch leerstehende Gebäude besetzt. Nach einem Hotel in Madrid und einem Marktgebäude im südspanischen Sevilla wurde am Sonntag im zentralspanischen Leon auch das riesige ehemalige Landwirtschaftslabor besetzt.

Mehr als fünf Millionen Spanier ohne Arbeit

Auf den Demonstrationen haben die Indignados ihre Position bekräftigt, dass Wahlen derzeit nichts ändern können. Es brauche einen "Systemwechsel", forderten sie auf der Demonstration in Madrid. An der größten Demonstration im Land, an der etwa 10.000 Menschen teilgenommen haben, wurde kritisiert, dass die beiden großen Parteien und die Finanzmärkte die Demokratie "entführt" hätten. Die Demonstranten wiesen darauf hin, dass mehr als fünf Millionen Menschen im Land keinen Job mehr haben. Vor allem die Jungen trifft es hart, denn 48 Prozent der unter 25-Jährigen sind arbeitslos. Viele der fast 1,5 Millionen Familien erhalten nicht einmal mehr die knappen 400 Euro Sozialgeld, das nur für sechs Monate gezahlt wird, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld erloschen ist. Hunderte Studenten gingen zudem mit Transparenten gegen Kürzungen im Bildungsbereich auf die Straße.

Initiative gegen Zwangsräumungen

Angegriffen wurde auch, dass Banken mit Steuermilliarden gestützt werden, die in vier Krisenjahren hunderttausende Familien aus den Wohnungen delogieren ließen, weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können. Mit der Verhinderung vom Räumungen machen sie Druck auf die Parteien, die "Dación de pago" umzusetzen. Damit ist die Begleichung der Hypothekenschuld durch die Übergabe der Wohnung an die Bank gemeint, wie es in den USA üblich ist. Vor der Auflösung des Parlaments ist es ihnen noch gelungen, eine Volksinitiative im Parlament registrieren lassen, für die eine halbe Million Unterschriften gesammelt worden waren. Damit soll die absurde Situation beendet werden, dass die Familien nicht nur ihre Wohnungen verlieren, sondern danach auf einem Schuldenberg sitzen. Die Initiative fordert auch eine "Sozialmiete". Um hohe Kosten zu vermeiden, sollen die Familien in ihren Wohnungen bleiben und die Miete soll dann 30 Prozent des Einkommens nicht übersteigen.

In den Wahlkampf wollen die Empörten nicht direkt eingreifen, auch wenn sie von einer "Zweiparteiendiktatur" der regierenden Sozialisten (PSOE) und der oppositionellen Volkspartei (PP) sprechen, die sich an der Macht abwechselten. Weil das Wahlrecht kleine Parteien systematisch benachteilige, wird seine Reform gefordert. Der Wahlabstinenz oder den Forderungen, ungültig zu wählen, wird eine Absage erteilt. "Wir debattieren viel, aber wir haben keinen Konsens und geben keine Handlungsanweisungen", erklärt ihr Sprecher Jaime del Val in Madrid. "Wir informieren über die Konsequenzen, was eine massive Wahlenthaltung oder ungültig zu wählen bedeutet." Aus den Argumenten wird deutlich, dass die Wahl von kleinen Parteien wie die neue grüne EQUO oder die Vereinte Linke (IU) priorisiert wird. Ausdrücklich wird gewarnt, dass Stimmen verloren gingen, wenn die Partei vorhersehbar nicht auf drei Prozent kommt.