"Vor 16 Stunden hat ein amerikanisches Flugzeug eine Bombe auf Hiroshima abgeworfen und seine Nützlichkeit für den Feind zerstört. Es ist eine Atombombe. Sie beruht auf der grundlegenden Kraft des Universums. Die Energie der Sonne hat sich nun gegen jene gerichtet, die den Krieg in den Fernen Osten gebracht haben." Mit diesen Worten verkündete USPräsident Harry S. Truman in den Nachmittagsstunden des 6. August 1945 seinen Landsleuten den Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima, der im Bruchteil von Sekunden zehntausende Menschen getötet hatte.
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Die erste Atombombe hätte eigentlich auf eine deutsche Stadt fallen sollen. Aber als der Krieg in Europa am 8. Mai 1945 zu Ende war, stand sie noch nicht zur Verfügung. 1939 hatten führende Wissenschaftler - unter ihnen Albert Einstein und der jüdische ungarische Atomforscher Leo Szilard - Präsident Franklin D. Roosevelt in einem Brief vor der Möglichkeit gewarnt hatten, dass Hitler den Bau der Atombombe anstrebe. Seither hatten mehr als 100.000 Mitarbeiter des unter dem Code "Manhattan Projekt" laufenden US-Atomprogramms an der Herstellung der US-Atomwaffe gearbeitet - unter ihnen viele, die von Hitler und Mussolini aus Europa vertrieben worden waren.
Erst am 16. Juli 1945 fand in Alamogordo in der Wüste von New Mexico der erste Atombombentest statt. Harry S. Truman, der nach dem Tod Roosevelts am 12. April Präsident geworden war und erst damals mit dem Atomprogramm konfrontiert wurde, in das die für damalige Verhältnisse ungeheure Summe von 2 Milliarden Dollar investiert worden war, erfuhr von dem erfolgreichen Versuch, während er mit Stalin und Churchill auf der Potsdamer Konferenz die Nachkriegsordnung festlegte. Als Truman Stalin gegenüber erwähnte, dass die USA eine neue Waffe von ungewöhnlicher Zerstörungskraft besäßen, zeigte der sich nicht sonderlich interessiert. "Er hat überhaupt nicht nachgefragt", erwähnte Truman gegenüber seinem engsten Verbündeten Churchill. Stalin musste das auch nicht, wusste er durch den Atomspion Klaus Fuchs, der an der Testzündung in Alamogordo teilgenommen hatte, ohnehin genau Bescheid über das amerikanische Atomprogramm.
Einsatz umstritten
Der mögliche Einsatz der neuen Waffe war mittlerweile sehr umstritten. Leo Szilard, 1939 Mitinitiator des Programms, hatte Unterschriften von 69 Wissenschaftlern unter eine Petition an den Präsidenten gesammelt, die Atombombe nicht einzusetzen. Die Petition erreichte Truman nie. General Eisenhower, Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa und 1953 Nachfolger Trumans im Amt des Präsidenten, formulierte die Ablehnung der Militärchefs gegenüber Kriegsminister Henry Stimson: Japan suche nach einem Weg mit einem Minimum an Gesichtsverlust zu kapitulieren. Die USA sollten es vermeiden, die Weltmeinung durch den Gebrauch der Atombombe zu schockieren.
Tatsächlich hatten die Amerikaner den japanischen Code geknackt und wussten, dass der japanische Botschafter in Moskau die Sowjetunion zu einer Vermittlung bewegen wollte, obwohl in Tokio die Militärs noch strikt dagegen waren. Im Wissen um die japanischen Bemühungen und die Tatsache, dass die Sowjetunion in den nächsten Tagen in den Krieg im Fernen Osten eintreten wollte, richtete Truman am 26. Juli aus Potsdam ein letztes Ultimatum an Tokio, das der japanische Ministerpräsident Kantaro Suzuki mit der mehrdeutigen Bemerkung "mokusatso" kommentierte - was "ignorieren" oder aber auch "mit stiller Verachtung ausradieren" bedeuten konnte.
Das US-Kriegsschiff USS Indianapolis lieferte an diesem Tag bereits die Einzelteile der ersten Atombombe im Hafen der Marianeninsel Tinian ab.
Generalmajor Leslie Richard Groves, unter dessen militärischer Leitung das Atombombenprogramm stand, schrieb, Truman könne die Bombe ebenso wenig stoppen, wie ein Bub seinen Rodelschlitten, mit dem er einen Hang hinunterschießt. Und Truman wollte sie gar nicht stoppen, lag ihm doch daran, neben den Japanern auch seinem Noch-Verbündeten Stalin die Botschaft der amerikanischen Vormachtstellung zu verdeutlichen. In sein Tagebuch schrieb der Präsident: "Ich habe den Kriegsminister, Mr. Stimson, angewiesen, sie (die Atombombe, Anm.) so einzusetzen, dass militärische Ziele und Soldaten sowie Matrosen, nicht aber Frauen und Kinder das Ziel sind".
Stimson verbot Groves, die Bombe auf die alte Kaiserstadt Kyoto abzuwerfen. So rückte die Hafenstadt Hiroshima an die erste Stelle der möglichen Ziele, zu denen auch noch die Städte Yokohama, Kokura, Niigata und Nagasaki zählten. Sie hatten eines gemeinsam: Bisher waren sie vom Bombenkrieg weitgehend verschont geblieben und deshalb ausgewählt worden, weil man die volle Zerstörungskraft der Bombe testen wollte.
Wetterbericht brachte Hiroshima den Tod
Am 6. August um 2.45 Uhr Ortszeit stieg von der US-Basis in Tinian der B-29-Bomber, dem sein Pilot Paul Tibbets am Tag zuvor den Namen seiner Mutter "Enola Gay" auf die Schnauze hatte malen lassen, mit der tödlichen Fracht auf. Eine Stunde zuvor hatten drei Wetterbeobachtungsflugzeuge die Basis verlassen. Noch war nicht sicher, ob Hiroshima der Schauplatz des ersten Atombombenabwurfs sein sollte oder Kokura oder Nagasaki. Die gute Sicht über Hiroshima gab letztlich den Ausschlag und Nagasaki hatte noch eine Frist von drei Tagen, bis dort der B-29-Bomber mit dem Namen "Great Artiste" seine tödliche Fracht abwarf. Am 6. August begleitete diese Maschine die "Enola Gay" als Beobachtungsflugzeug.
Um 8.15 Ortszeit wurde "Little Boy" auf das Zentrum Hiroshimas abgeworfen und explodierte rund 560 Meter über dem Boden. Rund 70.000 Menschen verdampften, verbrannten oder verkohlten sofort, zehntausende weitere starben an den Folgen in den Tagen und Wochen danach. Drei Tage später wiederholte sich die Tragödie um die Mittagszeit in Nagasaki, als die zweite Bombe mit dem Namen "Fat Man" explodierte.
Der inzwischen 90-jährige Pilot der Enola Gay, Paul Tibbets, ist noch heute überzeugt, das Richtige getan zu haben. "Ich dachte, wir werden viele Menschen töten, aber auch viele Leben retten, weil wir nicht in Japan einmarschieren müssen. Ich würde nicht zögern, wenn ich noch einmal die Wahl hätte", sagte er in einem Interview vor drei Jahren.
Japan kapitulierte am 14. August 1945.
In den USA tut man sich mit der Erinnerung an die Atombombenabwürfe noch heute schwer. 68 Prozent der US-Bürger sind nach einer kürzlich gemachten Umfrage der Meinung, dass der Atombombeneinsatz notwendig war, um den Krieg rasch zu beenden. Als die UNESCO 1996 die Atombombenkuppel in Hiroshima zum Weltkulturerbe erklärte, stimmten die Vertreter der USA und Chinas dagegen.