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Die Entdeckung der Armut

Von Veronika Gasser

Wirtschaft

Weltbank und Währungsfonds entdecken die Armut. Sie wird zentrales Thema ab Montag bei der Jahrestagung in Prag sein. Die Finanzminister, Nationalbankgouverneure und Finanzexperten müssen sich aufgrund des starken öffentlichen Drucks dem weltweiten Problem stellen. Der Knackpunkt für diese Wende war das G-7-Treffen in Köln im Juni 1999. Die Vertreter der sieben führenden Industrienationen wurden mit den Forderungen der Erlassjahr-2000-Bewegung konfrontiert. Eine Menschenkette von Tausenden friedlichen Demonstranten und mehr als 17 Millionen Unterschriften bekräftigen den Wunsch nach Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt. Die G-7 gaben nach und es kam zum Beschluss der neuen HIPC-Initiative, die von der Weltbank umgesetzt werden soll.


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Gleichzeitig mit der Entschuldungsinitiative müssen die Entwicklungsländer Programme zur Bekämpfung der Armut entwickeln und der Weltbank vorstellen. "Sicherlich steht der Schuldenerlass in Prag im Vordergrund," bekräftigt Martina Neuwirth, Koordinatorin von Erlassjahr 2000 Österreich. Doch die weltweit gut vernetzend arbeitende Bewegung mit starker Unterstützung vom Papst hat Bedenken. "Bevor die Schulden erlassen werden, müssen die Schuldner zeigen, dass sie in der Lage sind, die Armut in ihrem Land zu bekämpfen", kritisiert Neuwirth, "da wird der Karren vor den Esel gespannt". Erlassjahr 2000 fordert deshalb eine Entkoppelung vom Schuldennachlass.

Die zweite Sorge der vor allem von katholischen Trägerorganisationen ausgehenden Bewegung ist, dass der IWF bei seinen makroökonomischen Rezepten bleibt. "Wenn der Währungsfonds weiterhin neoliberale Wirtschaftsmodelle verordnet, torpediert er damit eine nachhaltige Bekämpfung der Armut", analysiert Neuwirth. Doch dieser Kurs soll sich ändern, gab Mats Karlsson, Vizepräsident der Weltbank, bei seinem Besuch in Wien selbstkritisch bekannt: "Das neoliberale Paradigma, das bisher bestanden hat, gehört der Vergangenheit an".

Auch Weltbankpräsident James Wolfensohn gab zu, dass aufgrund des großen öffentlichen Drucks ein Kurswechsel beim Gewähren von Finanzierungshilfen notwendig sein wird. Diesem Schwenk wollen die NGO´s allerdings noch nicht ganz trauen. "Wolfensohn hat eine wunderbare Rhetorik, doch die Bank, der er vorsteht setzt nichts davon um," erklärt der Greenpeace-Experte Wolfgang Pekny das Dilemma zwischen Programm und operationalem Geschäft, "sie hat ihr Ziel die Ausrottung der Armut weit verfehlt, denn ungeachtet der Weltbank-Aktivitäten stieg die Armut enorm an."

Hauptproblem bei Kooperationen mit Ländern der Dritten Welt ist, dass "vor allem die Eliten von den Projekten profitieren". Denn bislang waren Bevölkerung, aber auch Zivilgesellschaft von jeglicher Mitsprache ausgeschlossen. "Ab Juni wird in Kamerun, einem der korruptesten Länder, eine 1070 km lange Pipeline finanziert, entgegen dem Protest von Umweltorganisationen. Wie soll die Arme Bevölkerung von diesem Projekt profitieren?" fragt der Umweltexperte.

Nicht nur von außerhalb kommt Kritik, auch innerhalb des Expertenstabes brodelt es. So verließ Ende des Jahres der Chefökonom Josef Stiglitz die Weltbank. Er war enttäuscht über die permanenten Interventionen der Regierungen. Längst hatten die Experten erkannt, dass die Asienkrise durch die vom IWF vorgeschlagenen Maßnahmen wie Privatisierung nur noch verschärft würde. Stiglitz und seine Einschätzung der Auflagen zur Überwindung der Asienkrise: "Ich fürchtete, dass die vom IWF verordneten Sparmaßnahmen die Wirtschaft endgültig in eine Rezession, wenn nicht gar Depression stürzen würden."

Er äußerte seine Bedenken innerhalb des IWF, drang aber nicht durch: "Es gab Druck, wurde mir gesagt und der käme von den Exekutivdirektoren, die alle Kredite genehmigen. Diese waren wiederum von den Finanzministern der Industriestaaten bestellt." In Gesprächen mit Exekutivdirektoren fand Stiglitz heraus, dass diese selbst unter Druck stehen würden. "Die Konklusio der Asienkrise: Nur die westlichen Banken wurden gerettet," erklärt Federico Nier-Fischer, Leiter der Nachrichtenagentur Inter Press Service.

Auch ein anderer hoch angesehener Ökonom verließ die Weltbank. Der Inder Ravi Kanbur war bis Mai 2000 wissenschaftlicher Leiter des World Development Report, welcher Armutsbekämpfung zum Thema hatte. "Doch als ihm die kritischen Passagen des Berichts gestrichen wurden und er die permanent Interventionen satt hatte, verließ er das Team," erzählt Karin Küblböck, Ökonomin der Öffentlichen Forschungsstiftung für Entwicklungshilfe. Durch interne Kritiker wurde noch etwas bekannt, was schon lange hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde: Korruption. Deshalb hat die Weltbank für Prag auch einen großen Korruptionsreport vorbereitet, der erstmals öffentlich diskutiert wird. Vielleicht sind die Weltbankmittel in Zukunft durch erhöhte Transparenz vor den Zugriffen korrupter Eliten gefeit, hoffen NGO-Vertreter.