Die politische Lage hat sich verändert. Es gibt nicht mehr zwei Großparteien und ein bis drei kleine Parteien, sondern es gibt nur noch mehrere Parteien, von denen sich zwei wie Großparteien verhalten.
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Der Rücktritt von Michael Spindelegger, der eine Neuaufstellung des Führungs- und des Regierungsteams der ÖVP notwendig gemacht hat, war keine bloß persönliche Sache von einem, der dann doch entnervt das Handtuch wirft. Spindelegger führte damit nur fort und vor, was diese Partei in ihrer Zersplitterung, in ihrer Klientelorientierung immer wieder von ihren formellen Granden fordert, das diese dann aber nur bei totaler Selbstverleugnung geschafft haben - einige allerdings auch dann nicht.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die politische Lage in Österreich aber sichtbar verändert. Es gibt jetzt nämlich nicht mehr zwei Großparteien und eine kleine, es gibt nicht mehr zwei größere Parteien und eine dritte oder vierte, es gibt nur noch mehrere Parteien, von denen zwei sich so verhalten, als wären sie Großparteien. Das ist der Politik nicht förderlich. Die derzeitigen Koalitionsparteien veranstalten Rückzugsgefechte und letzte Pfründesicherungen.
Dass die ÖVP trotz ihrer Schwäche und Zersplitterung, ohne jede Vision und Kraft, so lange aushält, ist nur der Schwäche des Partners, der SPÖ zuzuschreiben, die sich von einer sozialdemokratischen Partei zu einer populistischen Partei der nebulosen Unverbindlichkeit, der gestylten Worte und telegenen Bilder gewandelt hat.
Während die Volkspartei krampfhaft versucht, bürgerliche Werte zu vertreten, vermag die Sozialdemokratie das Wuchern des Kleinbürgerlichen, das in ihren Reihen frühere rote Werteorientierung ersetzt hat, nicht zu übertünchen. Beide Parteien sind spießig und stockkonservativ, typische Verwaltungsapparate für "Angestellte".
Die "feinen Unterschiede" zwischen den Schwarzen und den Rosaroten sind deshalb so bedeutsam, weil sie einander im Allgemeinen so ähneln. Da muss jede Chance für ein eigenes Profil, für eine Kontrastierung, genutzt werden. Und das führt dann zu Querelen, Verzögerungen und Blockaden. Vermutlich würden selbstbewusste, starke Parteien, die sich wesentlicher voneinander unterschieden, erfolgreicher koalieren können, als diese verlorenen Gruppierungen von Geschäftspartnern wider Willen.
Die Widersprüche zwischen der bemühten Rhetorik und der politischen Praxis sind so eklatant, dass es fast besser wäre, die führenden Politiker des Landes nähmen keine NLP-Kurse (Neurolinguistisches Programmieren) und folgten nicht den Ratschlägen ihrer Coaches und Trainer.
So aber staunt der politische Laie und fragt sich, was da wohl als Nächstes kommen wird. Was soll nach dem inszenierten Entfesselungsprogramm von Ex-Vizekanzler Spindelegger noch kommen?
Was hat er nicht alles wollen! Ließ man ihn nicht? Wer ist dieser "man"? Was soll der Nachfolger Reinhold Mitterlehner können, das Spindelegger nicht konnte? Wie wird die entfesselte ÖVP mit dem Koalitionspartner SPÖ koalieren wollen?
Wie lange wird die Republik diese Art von Ersatzpolitik aushalten?