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Die Entlastung durch die Steuerreform vergisst viele

Von Oliver Picek

Gastkommentare
Oliver Picek ist Chefökonom des Momentum Instituts, das sich "Think Tank der Vielen" nennt. Er hat Volkswirtschaft in Wien, Paris und New York studiert.
© Momentum Institut/Pertramer

Hohes Einkommen wird mit hoher Leistung gleichgesetzt.


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Im Regierungsprogramm stand eine halbwegs fertige Steuerreform. In drei Stufen wollte die Regierung die Lohn- und Einkommenssteuer senken. Kernstück des Unterfangens für "kleine Einkommen" ist die die Senkung des Eingangssteuersatzes von 25 auf 20 Prozent. Dann kam Corona. Das Virus lenkte den Fokus auf Menschen in systemerhaltenden Berufen. Sie seien zu entlasten, so der Kanzler. Nun soll also der Eingangssteuersatz früher abgesenkt werden. Das wird allerdings für die Entlastung jener, die in der Krise hart gearbeitet haben, zu wenig sein.

Denn meist missverstanden wird, wen diese erste Stufe der Steuerreform entlastet: Den Eingangssteuersatz bezahlen alle, die mehr als 1100 Euro brutto im Monat verdienen. Dessen Sinken hilft vielen Systemerhaltern kaum oder gar nicht. Hunderttausende schlecht bezahlte Voll- und Teilzeitjobs bekommen gar nicht so viel Gehalt. Mehr als die Hälfte aller Reinigungskräfte und zumindest ein Viertel der Verkäuferinnen und Verkäufer - immerhin 160.000 Personen - verdienen zu wenig für eine Entlastung. Sie zahlen Umsatzsteuer, Energieabgabe, Sozialversicherungsbeiträge, KESt aufs Sparbuch. Von der Reform der Lohn- und Einkommensteuer haben sie aber nichts, wie rund ein Drittel der Österreicher über 18 Jahren.

Noch ungleicher sieht es bei der zweiten und dritten Stufe der Steuerreform aus, die 2022 folgen sollten. Diese betreffen mittlere bis sehr hohe Vollzeiteinkommen. Natürlich ist auch bei ordentlichen Vollzeiteinkommen eine Entlastung angebracht. Arbeit in Österreich ist ohnehin zu hoch besteuert. Dennoch muss auf die Verteilungswirkung geachtet werden.

Vergessen werden auch 550.000 Arbeitslose und 1,3 Millionen in Kurzarbeit. Sie sind von empfindlichen Einkommenseinbußen in der Corona-Krise unverschuldet getroffen. 2020, vielleicht auch 2021 werden sie ein geringeres Jahreseinkommen haben, wodurch ihnen weniger oder gar keine steuerliche Entlastung bleibt. Gerade sie benötigen aber zusätzliches Einkommen. Es bleibt ihnen meist nichts anderes übrig, als dieses direkt in den Konsum zu stecken - mit dem volkswirtschaftlichen Nebeneffekt höherer Umsätze im Handel und einer rascheren wirtschaftlichen Erholung. Wer viel verdient, legt zusätzliche Euros dagegen eher aufs Sparkonto.

Das zeigt das Grundproblem der bisher geplanten Steuerreform auf. Hohes Einkommen wird mit hoher Leistung gleichgesetzt: "Wer mehr Geld verdient, der leistet mehr, sollte stärker entlastet werden." Die Lektion aus der Corona-Krise aber ist, dass das keineswegs so sein muss. Es gäbe viele Möglichkeiten, diese Erkenntnis zu berücksichtigen. Die Zauberworte lauten unter anderem höhere Negativsteuer, höhere Absetzbeträge, ein Anheben des Arbeitslosengelds oder ein "Corona-Tausender". Solidarabgaben wie ein höherer Spitzensteuersatz, der schon einmal bei 63 Prozent lag, oder Steuern auf Vermögen könnten mittelfristig zur Finanzierung dienen und die Abgaben für die "Heldinnen und Helden der gesellschaftlichen Infrastruktur" dauerhaft reduzieren.

Die Steuerreform bietet die Chance, das System grundlegend zu verbessern. Die aktuelle Corona-Krise bietet zudem die Möglichkeit, Denkverbote aufzubrechen. Die Regierung sollte diese Chance nutzen.