Firmen flüchten in europäische Rechtsform. | Einschränkung bei der Arbeitnehmer-Mitbestimmung. | Wien. Deutsche Unternehmer haben einen interessanten Weg entdeckt, um den Einfluss von Arbeitnehmern einzuschränken: Sie wandeln ihre Aktiengesellschaft (AG) einfach in eine Societas Europaea (SE) um. Im Gegensatz zum deutschen - und auch österreichischen Recht - können die Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern im Unternehmen in der SE nämlich einfacher beschnitten werden.
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"Die Reduktion der Arbeitnehmer-Mitbestimmung ist das zentrale Motiv für eine SE-Gründung", analysiert Horst Eidenmüller von der Universität München, der die erste empirische Untersuchung zur Europäischen Aktiengesellschaft durchgeführt hat.
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Nach deutschem Recht müssen im Aufsichtsrat einer AG und einer GmbH mit mindestens 500 Mitarbeitern zu einem Drittel Vertreter der Belegschaft sitzen. In Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Arbeitnehmern sind die Arbeitnehmer sogar gleich stark wie die Eigentümer im Kontrollorgan vertreten.
Wird nun die deutsche AG in eine SE umgewandelt, tun sich Gestaltungsmöglichkeiten auf:
"Der Vorstand und die Vertreter der Arbeitnehmer müssen erst verhandeln, wie die Mitbestimmung der Belegschaft in der künftigen SE aussieht", erklärt Rechtsanwalt Clemens Völkl von der Kanzlei Hule Bachmayr-Heyda Nordberg.
Im Zuge dessen könnten die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer reduziert und sogar ganz eliminiert werden - wenn der Belegschaft etwa als Gegengeschäft eine andere Leistung versprochen wird.
Ist die Regelung über die Arbeitnehmer-Mitbestimmung einmal fix, so ersetzt sie auch das nationale Recht. Ein Beispiel: Eine deutsche AG mit 1000 Mitarbeitern beschließt im Zuge ihrer SE-Umwandlung, dass die Arbeitnehmer - wie auch nach deutschem Recht vorgesehen - zu einem Drittel im Aufsichtsrat der SE vertreten sind. Auch wenn die Mitarbeiterzahl in Zukunft die 2000-Grenze überschreitet und nach nationalem Recht eine paritätische Vertretung erforderlich wäre, bleibt es bei der Drittel-Vertretung. "Man kann so die bestehenden Regeln einfrieren", erläutert Lars Rossner, Senior Manager der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft in Deutschland.
Auf Umwegen zum Ziel
Doch was, wenn es zu keiner Einigung über die künftigen Mitbestimmungsrechte kommt? Dann muss man sich an den Mindeststandards orientieren, die vorher bestanden haben. Dennoch gibt es für Arbeitgeber in diesem Fall die Möglichkeit, den Einfluss der Belegschaft im Unternehmen zu kürzen - wenn auch auf Umwegen. "Sollte es zu keiner Einigung kommen, können die Kapitaleigentümer die Zahl der Aufsichtsräte in einer SE eigenmächtig reduzieren", weiß der SE-Studienautor Eidenmüller. Die Verringerung der Aufsichtsräte ändert zwar nichts an der Verteilung, sie erleichtert laut Eidenmüller aber das Erzielen von Einigungen. Und noch etwas kommt dem Unternehmer zugute: Die Arbeitnehmervertreter in einer SE kommen nicht mehr alle aus einem Land, sondern aus den jeweiligen Mitgliedstaaten, die von der SE-Gründung betroffen sind. So hat es der Arbeitgeber nicht mit einem eingespielten Team als Gegenüber zu tun.
Während sich die SE-Gründungen in Deutschland - vor allem bei mittelständischen Unternehmen - zunehmender Beliebtheit erfreuen, halten sie sich in Österreich in Grenzen. "Es gibt keinen Boom", sagt Thomas Angermair von der Kanzlei Dorda Brugger Jordis, die einen Großteil der SE-Gründungen hierzulande betreut hat.
Wissen
Die Societas Europaea (SE) ist eine Aktiengesellschaft, die dem direkt anwendbaren Gemeinschaftsrecht unterliegt. Unternehmen mit Niederlassungen in mehreren Mitgliedstaaten können als SE aufgrund einheitlicher Regelungen in der EU tätig werden, ohne Tochtergesellschaften errichten zu müssen, für die unterschiedliche nationale Vorschriften gelten.