Buchautor und Experte Theo Rauch über Wege und Irrwege der Entwicklungspolitik. | Auftauchen Chinas verändert Haltung der Partnerländer. | "Wiener Zeitung": Die Förderung der Entwicklungszusammenarbeit steht bei vielen EU-Staaten nicht ganz oben auf der Agenda. Vielerorts gibt es Kürzungen. | Theo Rauch: Es ist ein Trend, der wahrscheinlich mit der aktuellen Schuldenkrise zu tun hat.
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Wenn diese einmal überstanden ist, könnte es wieder etwas mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit geben. Wobei ich aber nicht davon ausgehe, dass in den meisten europäischen Staaten ein ernsthafter politischer Wille besteht, das gesetzte 0,7-Prozent-Ziel (also 0,7 Prozent des BNE für Entwicklungshilfe aufzubringen, Anm.) zu erreichen. Diesen Willen hatte man zuvor nicht, und der lässt sich auch jetzt nicht mobilisieren. Mittelfristig sehe ich weder einen Trend, die Entwicklungshilfefinanzierung abzubauen, noch sehe ich starke Kräfte, die dafür sorgen könnten, die Gelder auszuweiten.
Woran liegt das, dass dieser politische Wille fehlt?
Andere Lobbys sind stärker als die entwicklungspolitische. Wenn Sie etwa eine Konferenz über landwirtschaftliche Entwicklung besuchen, und dort ist auch die Agrarlobby - dann merken Sie, dass diese besser organisiert ist, stärker auftritt und die Öffentlichkeit besser mobilisieren kann als die vergleichsweise schwache entwicklungspolitische Lobby.
Ein zweiter Grund liegt aber auch darin, dass im Kreis der Befürworter der Entwicklungszusammenarbeit kein Konsens darüber herrscht, dass eine Erhöhung der Finanzierung eine Verbesserung der Entwicklungschancen bringt.
Können Sie dieser Argumentation etwas abgewinnen?
Ich denke, dass Entwicklungszusammenarbeit für sehr arme Länder einer gewissen Finanzierung bedarf, aber ich stehe jetzt nicht an vorderster Front derer, die im nächsten Jahr eine Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels fordern würden. Ich erlebe in der Praxis sehr oft, dass für die zur Verfügung stehenden Mittel die sinnvollen und praktikablen Konzepte fehlen und dass in den sogenannten Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit die administrativen Kapazitäten nicht vorhanden sind. Also Kräfte, die dafür sorgen können, dass das Geld tatsächlich in sinnvoller Weise bei den richtigen Leuten und für den gedachten Zweck ankommt.
Wo könnte man da den Hebel am ehesten ansetzen?
Zum einen muss man die administrativen Strukturen stärken, damit es mehr Kontrollmechanismen und transparentere Entscheidungsverfahren gibt. Die Möglichkeit zur Korruption muss verringert werden. All das muss von außen unterstützt werden, das kommt nicht von innen. In einem korrupten Apparat ist kein Mensch daran interessiert, solche Kontrollmechanismen einzubauen. Das funktioniert nur, wenn die Geber Bedingungen stellen.
Zum anderen ist es notwendig, an der Basis Menschen zu unterstützen, damit sie sich organisieren und ihre Forderungen vorbringen. Nur dann können wir hoffen, dass die Korruption in einer Regierung auch dann abnimmt, wenn ihr nicht ein deutscher oder österreichischer Finanzkontrolleur auf die Finger schaut.
Folglich sollte Entwicklungsarbeit an der Basis nicht dafür da sein, den Leuten Geschenke zu machen, indem man etwa Wasserleitungen liefert, die von europäischen Fachleuten installiert werden. Sondern man sollte mit Entwicklungshelfern Wassernutzergruppen organisieren, damit die Leute dafür sorgen, dass das, was für sie vorgesehen ist, auch bei ihnen ankommt.
Läuft die Entwicklungszusammenarbeit nicht immer Gefahr, als Bevormundung angesehen zu werden?
Das wird sie ohne Zweifel, das bekommt man im Augenblick in afrikanischen Ländern zu hören. Es herrscht bei afrikanischen Politikern eine gewisse Sympathie für China. Nach dem Motto: China hat zwar auch seine eigenen Interessen, aber die durchschauen wir, und die Chinesen bevormunden uns nicht. Sie wollen einfach Geschäfte machen.
Der Westen hingegen stellt oft Forderungen: Etwa dass die Verteilung von Geldern nur sinnvoll ist, wenn diese nicht korrupt fließen und an der Basis ankommen. Dafür brauchen die Partnerländer wiederum ein neues Budgetrecht. All das sind natürlich Bevormundungen. Das Wichtige ist aber, dass diese Bevormundungen auf Wechselseitigkeit beruhen. Auch der Westen muss sich etwa sagen lassen, dass seine Bestimmungen, wie die Mittel abfließen, hinderlich sind, zu einer Verschwendung führen und den Staatsapparat wegen vieler Verfahren aufhalten.
Hat das verstärkte Auftauchen Chinas, aber auch Indiens in Afrika etwas an der westlichen Entwicklungspolitik verändert?
Es hat sich meines Erachtens nicht viel auf der Geberseite verändert, aber auf der Partnerseite. Es kommt öfters vor, dass eine Regierung unter gewissen Bedingungen auf ein Projekt verzichtet und lieber mit China zusammenarbeitet.
Aber geht nicht auch in Europa selbst viel Kapazität verloren? Wenn man etwa die Fördertöpfe betrachtet: Da gibt es verschiedene nationale, dann wieder unterschiedliche von der EU . . .
Da ist es sehr schwer, eine bessere Lösung zu finden, wenn man nicht die Vielfalt der Ansätze und Bestrebungen unterdrücken will. Eine Zentralisierung könnte natürlich ein wenig effizienter sein, aber nicht notwendigerweise qualitativ besser.
Nach Jahrzehnten der Entwicklungszusammenarbeit: Kann man da sagen, welche Konzepte funktioniert haben und welche nicht?
Kein einziges Konzept funktioniert für sich, das waren die Tragik und das Dilemma. In der entwicklungspolitischen Branche haben einander ja alle zehn Jahre die Konzepte abgelöst und in ihr Gegenteil verkehrt. Zunächst ging es nur um Wachstum, doch das kam nicht bei den Leuten an. Dann setzte man direkt bei den Grundbedürfnissen der Armen an, aber das waren lauter Insellösungen. Daraufhin gab es Stimmen, die meinten, auf den Staat könne man überhaupt nicht zählen, wir könnten nur auf die Selbsthilfe bauen. Andere setzten wieder nur auf die Verbesserung der Regierungsführung.
Die Ansätze waren immer zu vereinzelt, man hat immer gehofft, dass mit einem Schlüssel das ganze Problem gelöst werden kann. Doch jeder einzelne dieser Ansätze war zwar nicht völlig falsch, aber für sich allein zum Scheitern verurteilt. Wir müssen die unterschiedlichen Ansätze zusammenbringen: Es muss wirtschaftlich stimmen, Rechtssicherheit geben, es müssen Leute zur Selbsthilfe fähig sein, aber gleichzeitig muss der Staat ordentliche Dienstleistungen mitbringen.
Wie sehr verfolgen Staaten bei Entwicklungsszusammenarbeit politische Interessen?
Natürlich gibt es politische und wirtschaftliche Interessen. Gegenüber diesen kurzfristigen und kurzsichtigen Zielen sollte man aber auch die langfristigen gemeinsamen globalen Interessen im Auge behalten: Und die bestehen darin, dass wir weltweit Frieden und ein Minimum an Prosperität brauchen, damit sich die Menschheit nicht in gewaltsamen Konflikten verliert.
Wenn wir etwa Nordafrika betrachten: Da handelt es sich ja in erster Linie
um Konflikte, die aus enttäuschten Entwicklungserwartungen entstanden sind. Das ist nicht nur der Kampf um individuelle Freiheit und ein Mehrparteiensystem, sondern es ist ganz stark auch ein Kampf derer, die keine Jobs haben, deren wirtschaftliche Erwartungen enttäuscht wurden.
Generell kann nur eine Entwicklung vor Ort verhindern, dass die Leute in Konflikte geraten oder ihre Zukunft nur noch in Europa oder Nordamerika sehen.
Theo Rauch ist Wirtschafts- und Sozialgeograph. Er forscht und lehrt an der Freien Universität Berlin und der Universität Zürich, ist seit Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit tätig und arbeitet als entwicklungspolitischer Gutachter. So ist er Mitglied im Gutachterausschuss der Deutschen Welthungerhilfe. Rauch hat im Westermann Verlag das Buch "Entwicklungspolitik. Theorien, Strategien, Instrumente" veröffentlicht.