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Die Impfungen sollten in Europa das Ticket in die Freiheit werden. Nachdem einige europäische Länder die Verimpfung von AstraZeneca ausgesetzt haben, ist das Vertrauen aber wohl erschüttert - in AstraZeneca und womöglich in die Medizin.
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Sobald das Wort "Zusammenhang" fällt, ist es meist schon zu spät. Herwig Kollaritsch weiß das und sucht - vergeblich - nach einem anderen Begriff. "Kein Land, kein einziges, hat bis heute einen Zusammenhang, oder: nicht einmal einen sehr wahrscheinlichen Zusammenhang - das würde ja schon genügen - zwischen den Impfungen und den thromboembolischen Ereignissen festgestellt", sagt er am Telefon.
Herwig Kollaritsch ist Mikrobiologe, Experte für Impfstoffe und Mitglied des nationalen Impfgremiums. Am Donnerstag hatte Österreich bekanntgegeben, die Impfungen mit AstraZeneca nicht auszusetzen so wie Dänemark, Norwegen, Rumänien und zuletzt auch Bulgarien das getan haben.
Diese Entscheidung wurde am Freitag noch einmal in einer Pressekonferenz der Initiative "Österreich impft" bekräftigt. Für ihn, erklärt Kollaritsch, sei Großbritannien als Benchmark für die Sicherheit des Impfstoffs maßgeblich. 11 Millionen Dosen wurden dort bereits verimpft. "Das Vereinigte Königreich hat ein sehr gutes Überwachungssystem, bisher ist dort nichts im Zusammenhang mit AstraZeneca wahrgenommen worden."
An der Frage, ob der Impfstoff sicher ist oder nicht, wird eine gesellschaftliche Weichenstellung sichtbar, es geht um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.
"Entweder wir bekennen uns zur evidenzbasierten Medizin, oder wir würfeln", formuliert Kollaritsch. "Wenn die Aussage der Europäischen Arzneimittelagentur, die seit Jahrzehnten nichts anderes tut, als die Risiken von Arzneimitteln zu bewerten, klipp und klar sagt, dass kein Zusammenhang feststellbar ist, dann kann ich nicht trotzdem behaupten, der Impfstoff mache irgendetwas Schlimmes. So geht es nicht."
Kaskade des Misstrauens
Doch das Vertrauen in den Impfstoff hat Schaden genommen: Eine 49 Jahre alte Krankenschwester des Landesklinikums Zwettl war nach einer Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff an einer Thrombose verstorben. Die genaue Todesursache wird derzeit von der MedUni Wien und dem Allgemeinen Krankenhaus in Wien untersucht. Zwei weitere Krankenschwestern erlitten eine Lungenembolie nach einer Impfung mit AstraZeneca. Aus Großbritannien wurden schwere allergische Schocks nach Impfungen berichtet, die auch die Europäische Arzneimittel Agentur EMA am Freitag bestätigte. Von den fünf Millionen mit AstraZeneca Geimpften hatten 41 Personen einen solchen anaphylaktischen Schock erlitten. Diese allergische Reaktion soll nun in die Liste der möglichen Nebenwirkungen aufgenommen werden.
AstraZeneca hatte im Januar eine bedingte Zulassung der EMA, eine Conditional Market Authorization, erlangt, zunächst für ein Jahr, um eben mögliche Nebenwirkungen beobachten zu können. "Das wird haargenau beobachtet", so Kollaritsch.
In Bezug auf die Thrombosen besteht für die Risikobewertung nun das Problem, etwas nachweisen zu wollen, von dem man bisher keinerlei Hinweis auf seine Existenz hat. Tatsächlich kommen die Thrombosen bei Menschen, die mit AstraZeneca geimpft wurden, nicht häufiger vor als bei nicht geimpften Menschen. Würde diese sogenannte Hintergrundinzidenz überschritten, wäre dies ein Indiz dafür, dass ein Zusammenhang mit dem Impfstoff besteht. Bisher weiß man, dass innerhalb der EU bei 30 von fünf Millionen mit AstraZeneca geimpften Menschen eine Thrombose, ein "thromboembolisches Ereignis" auftrat. 17 EU-Staaten setzen den Impfstoff ein.
Auch Geir Bukholm, Direktor der Abteilung für Infektionsprävention und -kontrolle der norwegischen Gesundheitsbehörde NIPH, betont auf Nachfrage via E-Mail: "Wir haben bislang keinen Grund anzunehmen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den Impfungen und den berichteten Thrombose-Fällen besteht. Es ist uns wichtig, zu betonen, dass wir damit kein Signal gegen einen zukünftigen Einsatz des Impfstoffs setzen wollen." Norwegen gehört zu den Ländern, die weitere Untersuchungen abwarten wollen und bis dahin den Impfstoff aussetzen. Das Land ist nicht Mitglied der EU.
Den Impstoff aussetzen, um Vertrauen zurückzugewinnen
Das Aussetzen des Impfstoffs, erläutert Geir Bukholm, ist das Ergebnis erschütterten Vertrauens - vor allem unter dem Gesundheitspersonal. Der Impfstoff sei vor allem in dem Bereich eingesetzt worden, sagt Bukholm: "Viele Mitarbeiter haben zunehmend Zweifel an diesem Impfstoff geäußert." Eingedenk der Tatsache, dass Dänemark den Impfstoff für vierzehn Tage ausgesetzt habe und laufende Untersuchungen auch in Norwegen stattfänden, sei es "schwierig", die Impfungen fortzuführen, da man auch zeigen wolle, dass man die Bedenken ernst nimmt, um das Vertrauen wiederherzustellen, begründet Bukholm den eingeschlagenen Weg.
Die EMA hat, wie auch die Behörden in Österreich, umfassende Prüfungen angekündigt. "Ich bin nicht der Überzeugung, dass das restlos klärbar sein wird", sagt allerdings Kollaritsch. "Im Gegenteil. Wir werden in den nächsten Wochen die Wahrscheinlichkeiten besser beurteilen können, aber wir werden niemals etwas mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen können. Niemand kann das. Wir arbeiten in einem biologischen System und nicht in der Mathematik."
Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, BASG, publiziert auf seiner Website eine wöchentlich aktualisierte Übersicht über alle Nebenwirkungen, die der Behörde im Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung von Ärzten, Gesundheitspersonal und Patienten übermittelt werden. Seit dem Beginn der Impfungen am 27. Dezember 2020 bis zum 5. März 2021 sind rund 9.700 Meldungen eingegangen. Unter den häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen sind Müdigkeit und Fieber, die meisten Meldungen beziehen sich auf den AstraZeneca-Impfstoff.
Eine Nebenwirkung melden kann jeder und jede: Mit dem Start des Impfprogramms in Österreich hat das BASG ein Online-Formular bereitgestellt, in das Patienten ihre Beobachtungen eintragen können. Noch nie seien so viele Meldungen eingegangen, berichtet Erwin Forster, BASG, von den Erfahrungen der letzten Monate: "Bisher waren Meldungen von Nebenwirkungen eher ein Randphänomen." Die Daten sind eine der Grundlagen, auf denen die Behörde Risikobewertungen vornimmt.
Der Impfstoff von AstraZeneca ist ein auf modifizierten Adenoviren beruhender Vektorimpfstoff. Diese Grippeviren kommen auch bei anderen Covid-Impfstoffen als Trägermedien zum Einsatz, zum Beispiel bei dem Sputnik-Impfstoff und auch bei jenem von Johnson & Johnson. Auf Adenoviren basierende Impfstoffe sind erfolgreich, etwa im Kampf gegen Ebola. Thrombosen werden nicht berichtet. "Das ist das Problem: Wenn wir nicht wissen, was los ist, dann tun wir uns schwer zu sagen, das hängt mit dem und dem Mechanismus zusammen", so Kollaritsch.
Hintergrundinzidenz
Eine Studie aus den USA konnte kürzlich zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für Thrombosen am stärksten mit dem Alter eines Menschen korreliert. Bei der Pressekonferenz des Impfgremiums hob Herwig Kollaritsch die Gruppe der 20 bis 64-Jährigen hervor: 130.000 Menschen dieser Altersgruppe haben in Österreich den AstraZeneca-Impfstoff erhalten. Darunter waren 3,7 Fälle eines thrombotischen Geschehens. Dies entspricht dem Vorkommen von Thrombosen unter den Nichtgeimpften dieser Altersgruppe. erläuterte er.
Auch für die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt es "keinen Grund", den Impfstoff von AstraZeneca nicht einzusetzen, wie eine Sprecherin der Organisation, Margaret Harris am Freitag erklärte und auch versicherte, dass jede Sicherheitswarnung untersucht wird.
Bei einer Infektion mit Covid-19 steigt die Gefahr von Blutgerinnseln, Lungenembolien und Gefäßthrombosen sehr bald stark an. Es ist ein Indiz für eine überschießende Immunreaktion. Viele Todesfälle bei Covid-19 gehen daher auf Lungenembolien zurück.
Die Nebenwirkungen bei den Impfungen, so Kollaritsch im Telefongespräch, seien extrem selten. "Man muss im Hinterkopf behalten: Dem Risiko gegenüber steht kein Schnupfen, sondern eine schwere Erkrankung."
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