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Die Erosion der EU-Kommission

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Der Europäischen Kommission stehen schwierige Zeiten bevor. Die Liste der anstehenden heiklen Dossiers ist lang. Nun verlässt mit dem Finnen Erkki Liikanen der bereits vierte Kommissar vorzeitig die Kommission.


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Der Kommissar für Unternehmen und Informationsgesellschaft wird mit 12. Juni Notenbankchef in Finnland. Spekulationen über die Zukunft des Sozialisten Erkki Liikanen hatte es schon lange gegeben. In der Vorwoche wurde der ehemalige Finanzminister von Präsidentin Tarja Halonen, ebenfalls Sozialdemokratin, für eine Amtsperiode von sieben Jahren zum neuen Zentralbankchef ernannt. Likkanens Nachfolger in der Kommission steht noch nicht fest.

Vor Likkanen hatte Pedro Solbes seinen Posten als Wirtschafts- und Währungskommissar geräumt. Der spanische Sozialdemokrat wurde als Wirtschafts- und Finanzminister in die neue Regierung nach Madrid berufen. Sein Nachfolger in Brüssel ist Joaquín Almunia. Dieser möchte den Kurs einer stabilen Wirtschaftspolitik in der EU fortsetzen und pocht ebenso wie Solbes auf die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Mit der diesbezüglichen Klage der Kommission wird sich übermorgen Mittwoch erstmals der Europäsche Gerichtshof in Luxemburg in einem Hearing befassen.

Innenpolitik geht bevor

Kurz vor Solbes wurde der französische Regionalkommissar Michel Barnier in das Außenministerium an den Pariser Quai d'Orsay abberufen. Wenngleich er gerne in Brüssel geblieben wäre und ihm sogar die Eignung zum künftigen Kommissionspräsidenten nicht abgesprochen wurde. Doch Staatspräsident Jacques Chirac wollte es nach der Niederlage der Konservativen bei den Regionalwahlen im März anders. Auf Barnier folgt vorerst Jacques Barrot als Kommissar.

Den Reigen der vorzeitigen Abgänge aus der Kommission - ihre reguläre Amtszeit dauert bis Ende Oktober - eröffnete Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou. Sie widmete sich seit Jahresbeginn dem Wahlkampf der griechischen Sozialisten. Nach deren Wahlniederlage am 7. März reichte es für sie jedoch nicht für das erhoffte Ministeramt, sondern nur für einen Sitz im Parlament. Zu ihrem Nachfolger ernannte die neue konservative Regierung in Athen Stavros Dimas.

Derweil haben die Kommissionsmitglieder der neuen EU-Länder die Anhörung vor dem Europäischen Parlament überstanden - und sollten eigentlich von den "alten" Kommissaren in ihre Tätigkeit eingeschult werden. Da werfen die frühzeitigen Auflösungstendenzen der Kommission kein gutes Licht auf die Brüsseler Behörde, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Heftig unter Beschuss geriet auch Kommissionspräsident Romano Prodi selbst: Er mische sich allzu sehr in die italienische Innenpolitik ein, so die Vorwürfe in erster Linie von konservativer Seite. Eine nach dem Kommissionspräsidenten benannte "Lista Prodi" tritt bei den Europa-Wahlen am 13. Juni an. Dass dabei Wettbewerbskommissar Mario Monti kandidiert, hatte dieser heftig dementiert. Er war kurze Zeit auch als europäischer Kandidat für den Chefposten des Internationalen Währungsfonds im Gespräch. Der neuen Kommission dürfte Monti ohnehin nicht mehr angehören.

In der Tat wäre es "glücklicher, wenn die Kommissare ihre Amtsperiode voll dienen würden", sagt der Leiter Kommissionsvertretung in Österreich, Karl Doutlik, zur "Wiener Zeitung". Aber das Leben spiele eben manchmal anders. "Es ist doch toll, wenn die Kommissare auf europäischer Ebene so viel Profil bekommen haben, dass sie höchst qualifiziert sind für gewichtige Jobs in ihren Ländern", so Doutlik.

Höchst Qualifizierte scheiden vorzeitig aus

In der verbleibenden Amtszeit hat die alte Kommission nicht weniger als drei schwergewichtige Themen noch zu bewältigen: In der Debatte um die künftige Verfassung ist die Behörde als übernationale, gemeinschaftliche Repräsentantin eigentlich gefordert, intergouvernmentalen Tendenzen in der EU-Politik (dominiert von den parteipolitischen Regierungen) entgegenzuwirken. In Bezug auf den Finanzrahmen 2007-2013 und die Neuverteilung der Strukturgelder ist es an der Kommission, einen Zeitrahmen für die weiteren Verhandlungen vorzuschlagen. Bis Herbst schließlich muss der Fortschrittsbericht über die Beitrittschancen der Türkei ausgearbeitet sein. Diese hätten mit der Bestätigung des Urteils gegen vier Kurdenpolitiker durch Ankara sicherlich einen Rückschlag erfahren, heißt es.