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Die Erschöpfung eines Systems

Von Norbert Leser

Gastkommentare
© Foto: Norbert Leser

ÖVP und SPÖ täten gut daran, nicht krampfhaft an der großen Koalition festzuhalten.


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Der Rücktritt des bisherigen Vizekanzlers und Finanzministers Michael Spindelegger signalisiert nicht nur die Erschöpfung einer Person, sondern die Erschöpfung eines Systems, das der großen Koalition, die unserem Land lange viel gegeben hat, aber schon seit längerer Zeit zu einer verengten Form der Demokratie geführt hat.

Der Rücktritt Spindeleggers hätte ein Anlass sein können, dass sich die Koalitionsparteien in Würde und Anstand trennen, statt eine Fortsetzung herbeizuführen. Allein die Tatsache, dass der Nachfolger Spindeleggers und der neue Finanzminister an der Schwelle des sechsten Lebensjahrzehnts stehen, lässt schon rein physisch keine Erneuerungskraft, die von neuen Führungspersönlichkeiten ausgehen müsste, erhoffen, sondern eine Fortschreibung des Bisherigen erwarten.

Da wäre es zwar gewagt, aber auch neue Perspektiven eröffnend, einem neuerlichen Scheitern und einer Abwahl wahrscheinlich schon lange vor 2018 vorzubeugen und mehr "Demokratie zu wagen", wie es Willi Brandt vor Jahrzehnten als Motto seiner politischen Tätigkeit formulierte. Danach ergäben sich wahrscheinlich neue Kombinationen und Anknüpfungspunkte, so zum Beispiel eine Mehrparteienkoalition Geistesverwandter und einander ergänzender und nicht bekriegender Parteien, beziehungsweise könnte eine Minderheitsregierung belebend auf die Gesellschaft und vor allem auf das Parlament wirken. Die große Koalition war eben nicht nur wie Bundespräsident Heinz Fischer, dessen liebstes Kind diese Koalition ist, keine "Erfolgsgeschichte", sondern eine Geschichte von Proporz, Filz und Korruption.

Neuwahlen wären schon deshalb ein Befreiungsschlag, weil die Bevölkerung nach allen bekannt gewordenen Umfragen ohnedies nicht mehr hinter dieser Regierungsform steht, einer fortgesetzten Koalition alten Stils. Dieses Konstrukt nicht gemeinsam, sondern gegeneinander regierender und stagnierender Parteien wirkt auch zunehmend an der Bevölkerung vorbei.

Es könnte sein, dass sich im Laufe einer Neuordnung der österreichischen Politik eine der beiden Koalitionsparteien in der Rolle der Opposition wiederfände, was weder für die betroffene Partei noch für die Demokratie insgesamt ein Schaden wäre. Denn einer der Nachteile der großen Koalition ist, dass die Opposition als eine minderwertige Rolle angesehen wird, die man nur kleineren Parteien überlassen will, und dass nicht akzeptiert wird, dass auch die Oppositionsrolle von staatspolitischer Verantwortung ist.

Für die beiden ehemaligen Großparteien könnte die Mahnung des Dichters Stefan George, die nicht nur auf private Belange zutrifft, als Warnung gelten: "Nicht ist weise, bis zur letzten Frist zu genießen, wo Vergängnis ist . . ." Dabei wird es gerade am persönlichen Schicksal Spindeleggers deutlich, dass ein Regieren unter den ständigen Querschüssen von innen und außen durchaus kein Genuss mehr sein muss.

Die Ära des Bundespräsidenten und auch jene der einst großen, klein gewordenen Koalition neigen sich jedenfalls dem Ende zu. Es wäre ratsam, wenigstens die gesetzlich zwingende Lebensdauer einer der beiden Institutionen abzukürzen und nicht weiter leere Kilometer zu fahren.