Juncker und Sozialdemokrat Martin Schulz aussichtsreichste Bewerber.
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Dublin/Wien. Die Erleichterung stand Jean-Claude Juncker ins Gesicht geschrieben, als sein Sieg feststand. Zuvor herrschte hektische Betriebsamkeit: Ein Pläuschchen hier, ein Händedruck dort, der Luxemburger umgarnte beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Dublin die Delegierten. Auf Deutsch, Englisch und Französisch hielt der langjährige Premier, der 2013 nach 18 Jahren Amtszeit abgewählt wurde, seine Rede; Juncker wollte damit untersteichen, dass er nicht nur inhaltlich, sondern in der vielsprachigen Union auch atmosphärisch der geeignete Kandidat der Konservativen und Christdemokraten für das Amt des nächsten Kommissionschefs ist.
Ein glänzender Sieg war es jedoch nicht: Mit 382 zu 245 Stimmen setzte sich Juncker gegen EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier durch. 828 Delegierte waren bei dem Kongress zugelassen, mehr als 200 Personen haben demnach ungültig abgestimmt oder sich nicht am Votum beteiligt.
Junckers Sieg stärkt Merkel
Barnier blieb bemüht, aber erfolglos bei seinem Versuch, die Delegierten zu umwerben. Er versuchte, Sorgen vor französischer Dominanz zu zerstreuen. "Ich glaube nicht, dass es eine Schwäche ist, Europäer und Franzose zu sein", sagte der 63-Jährige. Doch ein Franzose an der Spitze der Kommission und eine Deutsche - Angela Merkel - als mit Abstand mächtigste Regierungschefin, das war insbesondere Delegierten aus den kleineren Mitgliedsländern schwer zu verkaufen. Tatsächlich unterstützte Merkel den Luxemburger im Vorfeld kräftig, ihre Positionen werden mit Junckers Nominierung weiter gestärkt. Die Kanzlerin signalisierte bereits, die Austeritätspolitik bei Bedarf zu drosseln: "Wir sind nicht die Partei der blinden Sparmaßnahmen", assistierte Juncker am Freitag. Und der 59-Jährige adressierte eine Kampfansage an die Sozialdemokraten knapp drei Monate vor der EU-Wahl: Ihnen dürfe nicht die Sozialpolitik überlassen werden.
Beim Urnengang in der zweiten Maihälfte kämpfen Konservative und Sozialdemokraten um Platz eins in der EU-weiten Wählergunst. Wer diesen erreicht - in Umfragen liegen beide Gruppierungen derzeit in etwa gleichauf -, hat gute Chancen, den nächsten Kommissionspräsidenten zu stellen. Werden die Konservativen erneut stärkste Kraft, bekommt Juncker möglicherweise den wichtigsten Job in Brüssel. Denn der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs muss bei der Nominierung des Kommissionspräsidenten das Wahlergebnis laut EU-Vertrag "berücksichtigen".
Die drohende Posse
Von einer Verpflichtung kann jedoch keine Rede sein. Aufgrund dieses Gummiparagrafen droht die Wahl der Kandidaten für den Kommissionspräsidenten zur Posse zu verkommen. Chancenlos sind die Kandidaten der Liberalen und Linken, Guy Verhofstadt und Alexis Tsipras sowie das grüne Spitzenduo Franziska Keller und Jose Bove. Ihnen fehlt es schlicht an der notwenigen Mehrheit unter den vornehmlich konservativen oder sozialdemokratischen Staats- und Regierungsspitzen. Der sozialdemokratische Kandidat Martin Schulz hat zwar jahrelange Erfahrung als EU-Parlamentarier, aber zwei entscheidende Nachteile: Angesichts der Dominanz Merkels ist ein weiterer Deutscher in höchstrangiger Position schwer vermittelbar. Und ob der frühere Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Würselen das weltpolitische Format für den Job als Kommissionschef hat, wird leise angezweifelt. Juncker wiederum kämpft mit ganz anderen Problemen: Im Jänner wurde wohl kaum zufällig ventiliert, der Luxemburger sei dem Alkohol zu sehr zugetan.
Immer wieder geistert daher der Name von IWF-Chefin Christine Lagarde als Alternativkandidatin des Rats durch die Brüsseler Gänge. Die Bürgerliche könnte sich als Kompromiss herausstellen zwischen den konservativ regierten EU-Größen Deutschland, Großbritannien, Spanien und Polen und Lagardes linkem französischen Landsmann, Präsident François Hollande. Es bleibt abzuwarten, ob der Rat sich diesen Affront leistet, immerhin kann das Unionsparlament dessen Kandidaten ablehnen.