Der Rechnungshof geht in seiner Rückschau mit Politik und Verwaltung hart ins Gericht.
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Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Österreich auch mit einem nigelnagelneuen Epidemiegesetz nicht viel besser durch die Corona-Pandemie gekommen wäre. Aber der am Freitag veröffentlichte Bericht des Rechnungshofs zum Pandemiemanagement geht, erstens, weit über die Kritik am veralteten Gesetz hinaus. Und zweitens erzählt allein dieses Beispiel eine höchst beunruhigende Geschichte über die österreichische Verwaltung.
Das Epidemiegesetz stammt im Wesentlichen aus dem Jahr 1913, es wurde nach dem Krieg 1950 erneut kundgemacht und seither einige Male novelliert. Mehrfach, so schreibt der Rechnungshof, hätten Experten "innerhalb und außerhalb der Verwaltung" eine umfassende Neugestaltung eingemahnt. Dann wurde 2018 auch tatsächlich ein Entwurf erarbeitet, aber nicht umgesetzt. Im Jahr darauf wies die interne Revision im Gesundheitsministerium noch einmal auf die Dringlichkeit hin, aber es passierte wieder nichts.
Dem nicht genug: Richtlinien der Weltgesundheitsagentur WHO wurden 2008 zwar in die heimische Rechtsordnung übernommen, aber bis Pandemiebeginn waren sie nicht umgesetzt, obwohl dies bis 2012 hätte passieren sollen. Es gab auch keinen aktuellen Pandemieplan. Einer aus 2006 sollte erst angepasst, dann doch gänzlich erneuert werden. Unterschiedliche Stellen wurden eingebunden, am Ende ein dann doch wieder nur auf Grippe abzielender Entwurf vorgelegt. Anders als bestellt. Der Entwurf wurde verworfen. "Bei Ausbruch der Covid-19-Pandemie war daher nach wie vor der nationale Pandemieplan aus 2006 in Kraft", schreibt der Rechnungshof nüchtern.
Die Prüfung des Rechnungshofs bezog sich im Wesentlichen auf die erste Phase der Pandemie im Jahr 2020 und davor. Einige Aspekte, die kritisiert wurden, etwa eine personell zu geringe Ausstattung des Ministeriums und wichtige Positionen, die unbesetzt waren, konnten seither gelöst werden. Darauf weist auch das Gesundheitsministerium in einer Reaktion von Minister Johannes Rauch (Grüne) hin. "Das Personal wurde bereits aufgestockt, Prozesse und Strukturen wurden adaptiert", schreibt Rauch.
Doch das dauerte viele Monate, und der Bericht kritisiert auch, dass ausgerechnet in den Jahren vor der Pandemie, und obwohl das Ministerium selbst vor einer solchen Krise warnte, die Personalstände in drei der vier für das Pandemiemanagement zuständigen Abteilungen sanken.
Das Gesundheitsministerium wies in seiner Stellungnahme auch darauf hin, dass "die Abstimmung zwischen Bund und Ländern deutlich intensiviert" worden sei. Denn auch die fehlende Abstimmung der Gebietskörperschaften war ein Kritikpunkt des Rechnungshofs: "Zwischen Bund und Ländern blieb im laufenden Krisenmanagement in der Praxis oftmals unklar, wer wofür verantwortlich war, wer in der Praxis welche Entscheidungen zu treffen und wer diese umzusetzen hatte, weshalb es auch zu Doppelgleisigkeiten kam", heißt es in dem Bericht.
Laut den Prüfern hätte der Gesundheitsminister seine gesetzlichen Möglichkeiten im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung ausschöpfen sollen. Doch er habe "die ihm zur Verfügung stehenden Instrumente - Erlässe, Verordnungen, Weisungen - nicht genutzt, um Standards vorzugegeben, sondern ließ den Ländern freie Hand".
Besitzstandsdenken in Regierung mit Folgen
Da es in der Geschichte der Zweiten Republik nur ein einziges Mal eine Weisung an einen Landeshauptmann gab - 1985 an Salzburgs Wilfried Haslauer sen. - zeigt, dass diese Option realpolitisch heikel ist. Zu oft benötigt eine Bundesregierung das Wohlwollen der Länder, als dass sie deren Hauptleute im Wochentakt per Weisung aus Wien anleiten kann. Die verfassungsmäßigen Möglichkeiten sind eher Drohpotenzial, und dieses muss wohl dosiert eingesetzt werden. Fakt ist aber, dass Kooperation und Kommunikation nicht sonderlich gut waren.
Aber auch die Zusammenarbeit auf Bundesebene war nicht zufriedenstellend. Der Rechnungshof ortet auch Besitzstandsdenken. Zum einen fand die Bundesregierung für das fehlende Personal im Gesundheitsressort keine Lösung, etwa durch "eine vorübergehende Zuteilung juristischer Fachkräfte aus anderen Bundesdienststellen". Das wäre relativ leicht möglich gewesen, unterblieb jedoch, weshalb "die Funktonalität der gesundheitsbehördlichen Strukturen eingeschränkt war".
Zum anderen mischt auch das im Innenministerium angesiedelte Staatliche Krisen- und Katastrophenschutzmanagement, kurz SKKM, mit, ohne klaren Auftrag aber. Jeden Tag werden im SKKM Infektionszahlen gesammelt und veröffentlicht, die sich aber von jenen des eigentlich zuständigen Gesundheitsministeriums unterscheiden. Der Rechnungshof folgert: "Diese mangelhafte Konsistenz der Daten erschwerte nicht nur evidenzbasiertes Handeln auf Seiten der Behörden, sondern wirkte sich auch ungünstig auf deren Glaubwürdigkeit und damit auf die Akzeptanz und Wirksamkeit der Maßnahmen aus." Anders formuliert: Die Regierung sorgte mit ihrer mangelnden Abstimmung selbst dafür, dass ihre Maßnahmen weniger wirksam waren.
Empfehlungen wie eine Abrechnung
Für die Gesundheitsbehörden der Länder fanden die Prüfer aber auch lobende Worte, da diese von der Möglichkeit, sogenannte Epidemieärzte einzustellen, um die wenigen Amtsärzte zu unterstützen, Gebrauch machten. Doch aus dem Bericht geht hervor, dass die Länder schon vor Corona Schwierigkeiten hatten, Planstellen für Amtsärzte zu besetzen. Ohne "gewichtige Attraktivierung des amtsärztlichen Berufsbildes", heißt es in einer Stellungnahme des Landes Kärnten, werde es weiterhin kaum möglich sein, die vakanten Stellen zu besetzen.
Laut dem Gesundheitsministerium laufe seit 2005 zwar ein Prozess zur Neugestaltung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Doch auch hier: Keine Umsetzung, wichtige Fragen und Ziele sind "17 Jahre nach Start des Reformprozesses" weiter unklar. Für den Rechnungshof zum wiederholten Mal "ein Versäumnis" und "nicht nachvollziehbar".
Die Empfehlungen des Rechnungshofs lassen sich, vor allem in Richtung der Bundesregierung, in aller Kürze so zusammenfassen: Bitte nicht mehr so wie bisher! Die politische Steuerung sollte bundesweit einheitlich sein, die Regierung koordinierend wirken und Doppelgleisigkeiten in Ministerien sollen vermieden werden, konkret auch die Rolle des SKKM "eingeengt" werden, heißt es.
Abgesehen von einem neuen Epidemiegesetz und einem aktuellen Pandemieplan fordert der Rechnungshof auch einen Krisenkommunikationsplan. Es brauche eindeutige Verantwortlichkeiten und eine "klare Kommunikationslinie, die von allen Beteiligten mitgetragen wird", schreibt der Rechnungshof. In der Praxis war das Gegenteil Realität.