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Die Ersten unserer Art

Von Alexandra Grass

Wissen

Funde in Marokko zeigen: Der moderne Mensch ist wesentlich älter als bisher angenommen.


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Leipzig/Wien. Als die ersten modernen Menschen Jagd auf Gazellen machten, war es offenbar nicht nur 100.000 Jahre früher, sondern auch an einem anderen Ort als bisher gedacht. Neuesten Forschungen zufolge lebte der Homo sapiens nämlich bereits vor mehr als 300.000 Jahren am Hügel Jebel Irhoud in Marokko, rund 100 Kilometer nordwestlich vom heutigen Marrakesch. Bis dato war man davon ausgegangen, dass die Wiege des modernen Menschen in den Savannen Ostafrikas liegt.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI) und Abdelouahed Ben-Ncer vom Nationalen Archäologischen Institut in Marokko brachte fossile Menschengebeine, Steinwerkzeuge und tierische Knochen zum Vorschein, die nicht nur das Alter des Homo sapiens preisgeben, sondern auch zeigen, was auf seinem Speiseplan stand.

Gesicht voll ausgeprägt

Die ältesten Funde, die aus Äthiopien stammen, deuteten bisher auf ein Alter von maximal 200.000 Jahren hin. "Wir dachten, die Wiege des Menschen entstand zu dieser Zeit in Ostafrika. Doch unsere neuesten Daten weisen darauf hin, dass sich der Homo sapiens schon vor rund 300.000 Jahren auf dem afrikanischen Kontinent ausbreitete", erklärt Hublin im Fachblatt "Nature". Dies sei lange vor jenem Zeitpunkt gewesen, als sich der Mensch von Afrika aus in die Welt bewegte.

Jebel Irhoud ist seit den 1960er Jahren für Aktivitäten des Menschen in der Mittleren Steinzeit bekannt. Die jüngsten Grabungen hatten 2004 begonnen und brachten insgesamt 22 versteinerte Überreste von Knochen, Schädeln, Kiefern und Zähnen hervor, die von mindestens fünf Individuen stammen. Die Fragmente untersuchten die Forscher mit moderner Computertomografie.

Demnach war das Gesicht des frühen Homo sapiens damals schon voll ausgeprägt. Dagegen ist der Hinterkopf deutlich länger und ähnelt eher älteren Vertretern der Gattung Homo. "Das bedeutet, dass sich die Form der Gesichtsknochen bereits zu Beginn der Evolution unserer Art entwickelt hat", beschreibt Ko-Autor Philipp Gunz vom MPI. Dagegen habe sich die Form des Gehirns und womöglich auch seine Funktion erst innerhalb der späteren Entwicklung verändert.

Für die Datierung nutzten die Forscher die sogenannte Thermolumineszenz-Methode. Damit können sie etwa das Alter von Tongefäßen, aber auch benutzter Feuersteine ermitteln. Das Verfahren bestimmt über den Zerfall natürlicher radioaktiver Elemente den Zeitraum seit dem Erhitzen. Die vor Ort gefundenen Materialien deuten demnach auf einen Gebrauch von vor 300.000 Jahren hin. "In Jebel Irhoud hatten wir Glück, dass so viele Steinwerkzeuge erhitzt worden waren", erklärt MPI-Forscher Daniel Richter.

Die neuen Fossilien geben auch Einblick in den Speiseplan des frühen modernen Menschen: So gab es eine Menge Gazellenfleisch und gelegentlich Gnu, Zebra und andere Wildgerichte. Manches Mal wurden auch Straußeneier aufgetischt, erklärt Teresa Steele von der University of California. Sie hat die Tierknochen des Fundes unter die Lupe genommen. "Die Leute scheinen sehr gerne auf die Jagd gegangen zu sein", betont die Forscherin. Schnitte und Brüche in den Knochen deuten auch auf das Verspeisen des Marks hin. Steele fand allerdings ebenso Hinweise darauf, dass auch Raubtiere an den Beutetieren genagt haben könnten.

Mehr Menschenarten zeitgleich

In einem "Nature"-Kommentar schreiben Chris Stringer und Julia Galway-Witham vom Natural History Museum in London: "Wir stimmten mit Hublin und Kollegen überein, dass die Jebel-Irhoud-Fossilien nun die am besten datierten Beweise für eine frühe vormoderne Phase in der Evolution des Homo sapiens darstellen." Allerdings gebe es noch zu wenige Fossilien, um nachzuweisen, dass sich der moderne Mensch tatsächlich schon vor über 250.000 Jahren in ganz Afrika verbreitet habe.

Die neuen Erkenntnisse lassen nun aber auch umstrittene frühere Funde in einem neuen Licht erscheinen: So rechnen die Wissenschafter ein etwa 260.000 Jahre altes Schädelfragment aus Florisbad in Südafrika nun ebenfalls dem Homo sapiens zu. Der aktuelle Fund zeigt überdies, dass zur Zeit des Homo sapiens mehr andere Menschenarten lebten als bisher bekannt. Neben Neandertalern und den in Sibirien verbreiteten Denisova-Menschen zählt dazu etwa der Homo naledi in Afrika. Erst vor einem Monat hatten Forscher Fossilien dieser in Südafrika entdeckten Menschenart auf ein Alter von ungefähr 250.000 bis 300.000 Jahre datiert.