Psychologe: "Politiker glauben, immer funktionieren zu müssen."
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Wien. Einem Mann, der sich als Politiker und Buchautor für die Energiewende einsetzt, ist nun selbst die Energie ausgegangen. Am Donnerstag gaben die oberösterreichischen Grünen bekannt, dass ihr Umweltlandesrat, Rudolf Anschober, aufgrund einer Burnout-Diagnose für drei Monate in Krankenstand tritt.
"Schon in den vergangenen Monaten hatte ich deutliche Symptome, die sich auch durch eine bewusste Reduktion des Arbeitspensums während der letzten Wochen nicht besserten", erklärte Anschober in einer Aussendung. "Offensichtlich habe ich mit einer praktisch kontinuierlichen 80- bis 100-Stunden-Woche meinen Kräftehaushalt überstrapaziert", so der Grün-Politiker, der Anfang 2013 wieder in die Politik zurückkehren will. Bis dahin wird er als Landesrat von einem Regierungsmitglied des Koalitionspartners ÖVP vertreten.
Die Meldung, dass sich ein Politiker wegen Burnout eine Auszeit nehmen muss, hat Seltenheitscharakter. Nicht, weil Politiker nicht burnoutgefährdet wären, ganz im Gegenteil, sondern weil sie sich nur selten dazu bekennen. In Deutschland gab Matthias Platzeck deswegen die SPD-Führung ab. In der Schweiz musste sich erst in der Vorwoche die 35-jährige Natalie Rickli, Shootingstar der rechtskonservativen SVP, wegen Burnouts eine Polit-Pause verordnen. Die meisten betroffenen Politiker verschweigen ihre diesbezüglichen Probleme jedoch.
"Leider gibt es in der Politik die darwinistische Grundhaltung, dass Krankheit gleich Schwäche ist", sagt Seniorenbundobmann Andreas Khol, der in seiner Laufbahn viele Politiker kommen und gehen sah. "Dass Spitzenpolitiker Hochs und Tiefs ausgesetzt sind, in der Politik oft die Familie leidet, wird einfach unterdrückt. Das Ventil ist dann oft der Alkohol. Nur ja nicht zeigen, dass man krank ist."
Politiker sindbesonders gefährdet
"Politiker glauben, immer funktionieren zu müssen", sagt auch Harald Mathé vom Berufsverband Österreichischer Psychologen. Dabei sind gerade Politiker sehr burnoutgefährdet. Gefährdet seien alle Berufsgruppen, die ein überdurchschnittliches Engagement erfordern. Gerade ein solches "überdurchschnittliches Engagement für unerreichbare Ziele" sei ein Hochrisikofaktor, sagt Mathé - und typisch für Politiker. "Das Risiko eines Burnout ist bei dieser Berufsgruppe sehr groß", so Mathé.
Der Anfangsschwung weicht irgendwann einer Lustlosigkeit. Man beginnt sich zu fragen, wieso die Arbeit keinen Spaß mehr macht, die Motivation schwindet. Es folgt eine emotionale Verflachung und letztlich Verzweiflung. Der Burnout ist perfekt. "Irgendwann wehrt sich der Körper", erklärt Psychologe Mathé der "Wiener Zeitung". Die Folge sind alle möglichen Arten psycho-somatischer Erkrankungen, etwa von Herz-Kreislauf, Magen-Darm-Trakt oder Haut.
Allerdings warnt Mathé davor, immer gleich von Burnout zu sprechen: "Nirgends wird so oft von Burnout geredet wie in Österreich. Dabei ist es oft nur ein chronischer Erschöpfungszustand." Daher sei eine Burnout-Rate von 7 Prozent der Bevölkerung "absolut unrealistisch". Außerdem: "Wenn Burnout zur Modediagnose wird, führt das dazu, dass wirklich Betroffene nicht die nötige Beachtung finden."
Ist Burnout erst einmal diagnostiziert, ist es, so Mathé, "relativ rasch" heilbar, etwa durch einen Berufswechsel. Beim Wiedereinstieg nach einer beruflichen Auszeit empfiehlt der Psychologe professionelle Begleitung in Form eines Coachings, um einen erneuten Burnout zu verhindern.
"Der Selbstausbeutungwiderstehen"
Für Politiker schlägt Mathé eine zeitliche Begrenzung politischer Funktionen vor. Dass etwa US-Präsidenten nur zwei Amtszeiten hintereinander dienen dürfen, sei "sehr sinnvoll", so Mathé. Eine andere Möglichkeit seien etwa politikfreie Wochenenden, wie sie in Salzburg oder Niederösterreich eingeführt wurden.
Politikveteran Andreas Khol räumt ein, dass es für Politiker schwer ist, zurückzuschalten: "Du kannst nicht mehr als zweimal einen Termin ablehnen, sonst ist dein Mandat bald weg." Er empfiehlt seinen jüngeren Kollegen: "Der Selbstausbeutung widerstehen. Sich vernünftig Zeit nehmen für private Beziehungen, maßvoll leben und Sport betreiben." Sein Ausgleich sei die Gartenarbeit gewesen - auch das Hobby von Rudolf Anschober. Diesen hat es vor dem Burnout nicht bewahrt.