Dan Browns Bestseller "Sakrileg" hat den geheimnisvollen Orden der Templer populär gemacht. Joseph P. Strelka zeigt nun, wie stark Dantes "Göttliche Komödie" vom gnostischen Denken dieser Gottesritter geprägt ist.
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Die Zahl derer, die mit dem Wort "Tempelritter" etwas anzufangen wissen, hat sich seit 2003 auf drastische Weise vermehrt. In diesem Jahr nämlich hat der amerikanische Bestsellerautor Dan Brown den Roman "The Da Vinci Code" herausgebracht; in kurzer Zeit wurde das Buch ein Verkaufsschlager und in 44 Sprachen übersetzt, 2004 erschien die deutsche Übersetzung unter dem Titel "Sakrileg", 2006 folgte eine in Hollywood produzierte Verfilmung mit Tom Hanks und Audrey Tautou in den Hauptrollen.
In diesem Thriller geht es, kurz gefasst, darum: Der Chefkurator des Louvre wird ermordet aufgefunden, und zwar am selben Tag, als er mit Robert Langdon, Harvard-Professor und Symbol-Forscher, verabredet war. Von der Polizei zur Leiche gebracht, entdeckt Langdon auf deren nacktem Bauch ein mit Blut gezeichnetes Pentagramm nebst einer rätselhaften Botschaft. Wenig später erfährt er von Sophie Neveu, einer Kryptologin in der Dechiffrierabteilung der Pariser Polizei, dass er als Hauptverdächtiger in diesem Mordfall gilt. Sophie und Robert entschlüsseln die Geheimnachricht: Der Ermordete war Großmeister der "Prieuré de Sion", einer Bruderschaft, die – angeblich – als Nachfolgerin der Tempelritter das Mysterium des sagenhaften Heiligen Grals bewahrt.
Nun ist höchste Zeit, dass die zwei von der Polizei bereits heftig gesuchten Privatermittler die Flucht ergreifen. Wiewohl permanent verfolgt, lösen sie ein Rätsel nach dem anderen und gelangen schließlich nach Schottland, wo Sophie erfährt, dass sie selbst eine Nachfahrin der Merowinger ist – und damit von Jesus selbst! Zurück in Paris, wird auch das letzte Geheimnis offenbar: nämlich wo sich der Heilige Gral befindet.
Dan Browns Mysterienkrimi verknüpft auf bedenkenlos geschickte Art historische Fakten mit literarischer Fiktion, eine Methode, die zwar den Verkaufserfolg garantierte, nicht aber die Zustimmung der einschlägigen Wissenschaft.
Ritter und Mönche
Die Geschichte der Tempelritter lädt allerdings zu kühnen, ja übermütigen Spekulationen geradezu ein: denn diese mittelalterliche Männergesellschaft, welche die ritterlichen und mönchischen Ideale zu verbinden trachtete, umgibt ein arkaner Nimbus. Der geistliche Ritterorden der Pauperes commilitones Christi templique Salomonici Hierosalemitanis (Armen Ritterschaft Christi und des Salomonischen Tempels zu Jerusalem), kurz Templerorden, Templer oder Tempelritter, gegründet zwischen 1118 und 1121, bezog seinen Namen aus dem Umstand, dass er einen Stützpunkt auf dem Jerusalemer Tempelberg hatte, wo einst der Tempel Salomons gestanden war. Ursprünglich dazu bestimmt, Pilger auf dem Weg von Jaffa nach Jerusalem vor Räubern zu schützen, nahm der Orden bald einen rasanten ökonomischen Aufschwung und wurde, begünstigt durch etliche päpstliche und königliche Privilegien, zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. In Paris und London wurden Ordenshäuser errichtet, von denen aus lukrative Bankgeschäfte mit Adels- und Königshäusern koordiniert wurden.
Die Organisation des Ordens orientierte sich an der Ständeordnung des Mittelalters: Die Kaplane waren als Ordensgeistliche zuständig für liturgische und sakramentale Aufgaben; die Ritterbrüder mussten adeliger Herkunft sein und selbst für ihre (teure) Ausrüstung sorgen: sie verpflichteten sich auf Lebenszeit und legten die Gelübde der Keuschheit, des Gehorsams, des Verzichts auf persönlichen Besitz und des Schutzes der Pilger ab; außerdem gab es dienende Brüder, die für die Alltagsarbeiten zuständig waren, sowie Knappen als Kampfgefährten der Ritter.
Die Position der Templer in Jerusalem und Umgebung wurde durch das Erlahmen der Kreuzzugsambitionen und die militärischen Erfolge der Muslime kontinuierlich geschwächt, und mit dem Fall von Akko 1291 ging die letzte christliche Bastion im Heiligen Land verloren. In Europa formierten sich indessen die Todfeinde des Ordens, angeführt vom französischen König Philipp IV. und von Papst Clemens V., in brutaler Endlösungsabsicht. Am 13. Oktober 1307 werden auf königlichen Befehl hin und mit päpstlichem Einverständnis alle in Paris versammelten Templer, einschließlich des Großmeisters Jacques de Molay, verhaftet. Die Anklage wirft ihnen Ketzerei, Sodomie (im Sinne homosexueller Handlungen) und Götzendienst vor. Die meisten Verhafteten legen – aus Angst vor der Folter oder tatsächlich gefoltert – Geständnisse ab, die viele jedoch später widerrufen, was ihnen freilich gar nichts nützt: denn Widerruf gilt als Rückfall in die Ketzerei und wird mit dem Tod am Scheiterhaufen bestraft. Ein katholisches Los, das auch den Großmeister ereilt.
Mysteriöses Nachleben
Warum, so ist zu fragen, geht von den Templern auch sieben Jahrhunderte nach ihrer, allerdings nur scheinbar totalen, Vernichtung immer noch Faszination aus? Weil ihr spirituelles Arcanum, ihr metaphysisches Geheimnis dank der Tatsache, dass nicht alle Ordensmitglieder getötet und deren heilige Quellen nicht verschüttet wurden, angeblich auf mysteriöse Weise irgendwie, irgendwo weiterlebt. Dan Brown bietet eine populär-triviale Enthüllung an; es gibt aber auch seriöse wissenschaftliche Deutungsversuche, etwa ein aktuelles Buch von Joseph P. Strelka. Bevor davon die Rede sein soll, ein paar grundsätzliche Worte zum Thema Glaubensvielfalt. Die Metaphysik reckt ihr Haupt in den Himmel, steht jedoch fest auf dem Boden irdischer Erfahrung. An der Beengtheit, Beschränktheit, Mühseligkeit und Endlichkeit der Natur laborierend, erträumt, ersehnt sich der menschliche Geist etwas Übernatürliches, das freilich, es geht ja nicht anders, auf irdischen Vorstellungen gründet und menschliche Züge trägt.
Alle monotheistischen Religionen, die gemäß ihrer Konstitution himmlische Offenbarungen, göttliche Botschaften zu verwalten haben, leiden an dem gleichen, unvermeidlichen Geburtsmakel. Im festen Glauben, die einmalige göttliche, d.h. von Gott inspirierte, Lebensordnung nebst Heilsversprechen gnadenhalber erhalten zu haben, sehen sie sich (offenbar von Gott selbst) gezwungen, die heiligen Worte (an denen die Gläubigen weder zweifeln noch rütteln dürfen) immer wieder aufs Neue zu deuten, auszulegen, zu interpretieren, und zwar im stets hoffnungsvollen Glauben, dass Gott immer auch durch den Mund der Interpreten spricht. Kurzum, die Gotteskinder müssen viel und unerschütterlich glauben; weil nun aber die Menschen von Natur aus, also gottgewollt, gar so verschieden geartet sind, entwickelten sich im Lauf der Religionsgeschichte verschiedenartige Glaubens-Richtungen.
Zum Beispiel im Christentum. Dass es nicht Jesus war, der es erfunden hat, weiß ja heute sogar schon der Vatikan. Jesus war bekanntlich ein Jude, ein jüdischer Wander- und Wunderprediger, dessen Lehre erst post mortem durch den Chefinterpreten Paulus christologischen Charakter erhalten hat. In der wirren Frühzeit des Christentums lagen verschiedene Glaubensmodelle und Gottesanschauungen miteinander im Streit, und es dauerte etliche Jahrhunderte, bis sich die Ansichten des katholischen Zentralkomitees flächendeckend durchgesetzt hatten, bzw. durchgesetzt wurden. Abseits des dogmatischen Christus-Bildes pflanzte sich jedoch im Geheimen eine metaphysische Welterklärungsmethode fort, die Jesus nicht als Offenbarungshöhepunkt ansah, sondern bloß als ein (wenngleich wichtiges) Glied in einer zeitenüberspannenden Glaubenskette: die sogenannte gnostische Methode.
Die Gnosis (griechisch: Erkenntnis, Wissen) verheißt Einsicht in göttliche Geheimnisse und die geistige Welt sowie Anleitungen zur Glückseligkeit. Im Gegensatz zu den Glaubenslehren der christlichen Kirchen ist das Ziel der Gnosis die Erlösung des Menschen durch Erkenntnis Gottes und der Welt. Der Templerorden war eine gnostische Gemeinschaft. Nur eine kleine Gruppe von Eingeweihten hegte und tradierte die uralten Geheimnisse und war befähigt, "mit den Augen der Seele zu sehen", nämlich zu einer Anschauung zu gelangen, bei der "das innerste Wesen der Dinge in plastisch bildhaften, leuchtenden Gestalten erscheint".
Nach außen hin wirkten die Templer als eine dem Papst verpflichtete Kerntruppe des Christentums, als ritterliche Beschützer der exoterischen Massen – der innere Kreis jedoch verehrte die große Muttergottheit der Gnosis und versenkte sich in die Mysterien einer kosmischen Sinnordnung, die von synkretistischen Elementen (ägyptischen, griechischen, jüdischen etc. Ursprungs) geprägt war, und vollzog symbolträchtige esoterische Rituale.
Der Templer Dante
Alles das war, wie Joseph P. Strelka in seiner komparatistischen, geistes- und literaturwisschenschaftlichen Studie zeigt, auch dem Stammvater der italienischen Dichtung, Dante Alighieri (1265–1321), wohlbekannt. Ja, nicht nur das: in seiner gewaltigen "Divina Commedia" legte er "das glänzendste überlebende Zeugnis der Templergnosis" ab.
Dante, der selbst Mitglied einer Templer-Fraternität war, schuf wenige Jahre nach der Zerschlagung des Ordens ein poetisches Zeit- und Sittengemälde, in das zahlreiche verschlüsselte Hinweise auf das gnostische Welt-Bild eingefügt sind – notwendigerweise verschlüsselt, denn die Angst vor Sanktionen der Inquisition saß tief. Angesichts einer "Ecclesia Carnalis", "der es um Geld und Macht ging" und die keinen Wert auf Spiritualität legte, erhob der Kunst-Idealist Dante seine Stimme: Es ging ihm dabei "keineswegs nur um eine Kritik der negativen Zustände der Welt", "sondern aus solcher Kritik des Chaos sollte als eine Art möglicher Utopie durch eine Glückseligkeitslehre ein groß angelegtes Bild der Zukunft" entworfen werden.
Begleitet von einem guten, alten Werk (Robert John: Dante, 1946), wandert Strelka auf Dantes Spuren durch die Hölle über den Läuterungsberg ins Paradies, in jedem der hundert Gesänge auf gnostische Wegmarken und Wortzeichen hinweisend, in der sicheren Überzeugung, "dass in der Commedia nichts zufällig und unüberlegt" ist: eine kulturhistorische Wanderung mit hohem Erkenntnisgewinn.
P.S.: Der Plan, alle Tempelritter auszurotten, schlug wie gesagt fehl. Einige von ihnen vermochten ins Ausland zu fliehen und nahmen die Ordensgeheimnisse mit. Vieles wäre noch zu erzählen, etwa vom Fortleben der Templergnosis in Schottland oder von deren Einfluss auf die Lehren der Freimaurer. Aber das ist ein anderes Kapitel in der esoterischen Geistesgeschichte des Abendlandes.
David Axmann wurde 1947 geboren und lebt als Publizist und Buchautor in Wien und im Burgenland.
Joseph P. Strelka: Dante und die Templergnosis. Francke Verlag, Tübingen 2012, 304 Seiten, 25,10 Euro.