In der Hafenstadt Rotterdam beerben Rechte und Islam-Parteien die Sozialdemokratie.
Rotterdam. An einem diesigen Wintersamstag gegen Mittag erscheint in Rotterdam der Messias. Ein Raunen geht durch die Reihen. Erwartungsvoll drängen hunderte Menschen vom Bahnhofsplatz zu einem Hügel. Umringt von Personenschützern steht dort ein Mann im blauen Jackett. Für einen Moment denkt man, dass ein Leuchten sein Haupt umspielt, aber das ist nur Haar. Dann sagt Geert Wilders der Regierung den Kampf an.
Genug hat er, von der "Diskriminierung der Niederländer", von Elite, Islamisierung und Asylbewerbern, die alles umsonst bekommen, während rechtschaffene Einheimische ihre Pflegekosten nicht zahlen können. Doch damit ist jetzt Schluss: "Ich rufe das Volk massenhaft zum Widerstand auf!", tönt es durch die kalte Luft. "Die Niederländer werden sich ihr Land zurückholen!" Genau hier, in Rotterdam, soll bei den Kommunalwahlen am 21. März der Anfang gemacht werden.
Wenn die Partij voor de Vrijheid (PVV) sich öffentlich zeigt, ist das immer gut durchdacht. Die Demonstration fällt mit ihrem Wahlkampfauftakt in Rotterdam zusammen, wo sie erstmals kommunal antritt. Niederländische Großstädte wählen in der Regel linksliberal. Die Ausnahme: Rotterdam. Die Hafenmetropole ist eine Hochburg der Rechtspopulisten. Vor einem Jahr, bei den Parlamentswahlen, lag sie hier knapp auf dem zweiten Platz. Rund jede siebte Stimme ging an die PVV.
Prominentes Aufgebot
Es ist die übliche Mischung aus besorgten Bürgern und Rechtsextremen, die Ende Jänner dem Aufruf der Partei nach Rotterdam gefolgt sind und jetzt in Richtung Innenstadt ziehen. Pegida ist vertreten, die radikale Nederlandse Volks-Unie, Mitglieder der identitären Voorpost-Bewegung verteilen Flugblätter. Aus Belgien ist eine Delegation des rechten Vlaams Belang gekommen. Dessen Galionsfigur Filip Dewinter läuft an der Spitze des Zugs. Mit Wilders trägt er ein Transparent. "Die Niederlande gehören uns", steht darauf. Ein bemerkenswertes Aufgebot für eine Kommunalwahl.
Vor dem Theaterplatz gerät der Zug unversehens ins Stocken. Auf einmal sind da noch andere Demonstranten: Zwei, drei Dutzend vielleicht, viele von ihnen jung, und sie sind offenbar gut organisiert. Innerhalb von Sekunden haben sie sich auf einer Stufe des Platzes in Position gebracht. Sie tragen weiße Windjacken mit zwei stilisierten, ineinandergeschlagenen Händen: das Logo von Denk, einer jungen Partei, die ebenfalls zum ersten Mal in Rotterdam an den Kommunalwahlen teilnimmt. Auch diese Demonstranten entrollen jetzt ein Transparent: "Die Niederlande gehören uns allen!" steht darauf.
Der PVV direkt entgegentreten: Diese Strategie wählt Denk nicht zum ersten Mal. Man sieht sich als Gegenpol zu den Rechtspopulisten, als Stimme für Zusammenhalt und Inklusion, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. "Rotterdam ist eine Weltstadt. Hier wohnen Menschen mit allerlei verschiedenen Hintergründen", sagt Tunahan Kuzu, einer der beiden Gründer der Partei. Einst saß er für die Sozialdemokraten im Stadtrat. Nun steht er vor dem Theater, irgendjemand schwenkt eine grün-weiße Fahne, und Polizisten schieben sich zwischen die beiden Kundgebungen. "Dort stehen Leute voller Hass, die ihr großer Führer hierher gerufen hat", spöttelt Kuzu. "Viele davon sind nicht mal von hier. Wir dagegen: alles Rotterdamer!"
Die Frage, wer wo dazugehört und wer nicht in den Niederlanden, zeigt sich symbolisch im Wahlkampf dieser Stadt mit ihrer besonderen Reputation. Wie die Niederlande in Europa als Pionierland gelten, nimmt Rotterdam Entwicklungen vorweg, die in anderen Städten folgen. 1968 gab es hier die erste Metro, 1970 den ersten Gewinn eines Fußball-Europacups. Kurz nach dem Millennium sagte mit Pim Fortuyn der erste moderne Rechtspopulist dem Establishment den Kampf an. 2009 wurde mit Ahmed Aboutaleb erstmals ein Migrant Bürgermeister einer europäischen Metropole.
Aktuell gibt es noch einen Grund, weshalb Europa auf diese Stadt schauen sollte, in der Menschen mit mehr als 170 Nationalitäten wohnen, von denen gut die Hälfte Wurzeln jenseits der Niederlande haben: Der Verfall der Sozialdemokratie ist in dieser alten Arbeiterhochburg besonders fortgeschritten. Begünstigt hat das Parteien, die auf Identität setzen. Viele Wähler, die die Partij voor de Arbeid verloren hat, sind bei den Rechtspopulisten gelandet, und nun auch bei Denk - was auf Türkisch übrigens "gleich" bedeutet. So wie sie sich jetzt vor dem Theater gegenüberstehen, konkurrieren sie ums Elektorat der Hafenmetropole. In armen Vierteln wie Feijenoord sind PVV und Denk inzwischen die stärksten Parteien. Beide wollen ihre Erfolge in der Landespolitik nun lokal untermauern.
Den größten Rückhalt hat Denk bei türkischstämmigen Rotterdamern. Und in türkeispezifischen Fragen zeigt die Partei ein Profil, das nicht zu dem passen will, das sie im niederländischen Diskurs pflegt. Ob es um den armenischen Genozid geht, um kritische Journalisten oder um Gegner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: Denk findet sich zuverlässig auf Linie der türkischen Regierungspartei AKP. Als die Gründer Tunahan Kuzu und Selçuk Öztürk 2014 im Streit die Sozialdemokraten verließen, ging es um die Rolle konservativ-nationalistischer türkischer Akteure wie Milli Görüs und des staatlichen Moscheenverbands Ditib.
Dass Denk in den Rotterdamer Stadtrat gewählt wird, ist sehr wahrscheinlich. Ebenso wahrscheinlich wird man dort auf Vertreter einer lokalen Partei treffen, die oft im gleichen Atemzug genannt wird: Nida. Deutlicher noch als Denk verortet Nida sich auf der politischen Linken. "Rotterdamer DNA, islamisch inspiriert" ist ihr Slogan. "Nida ist ein Begriff aus dem Koran und bedeutet Aufruf oder Stimme", so die Selbstbeschreibung. Die Kommunalwahlen 2014 waren für Nida eine doppelte Premiere: Die erste Teilnahme führte gleich zu zwei Sitzen.
"Stolz auf unsere Diversität"
Ende Jänner lud Nida zum Neujahrsempfang in ein Restaurant in Ijsselmonde im Süden der Stadt. Kürzlich hatte man die Kandidaten für die Liste bekannt gemacht. An der Spitze: Nourdine El Ouali, 36, Pädagoge, einer der beiden Vertreter im Stadtrat. Jetzt steht er am Kopfende des Saals und stimmt Mitglieder und Anhänger auf die Wahl ein: "Stadtgenossen!", ruft er antillianischen, holländischen und maghrebinischen Rotterdamern zu, "wir stehen vor einer historischen Chance: Dem misstrauischen, kleingeistigen Blick auf unsere Stadt können wir Vertrauen und Liebe entgegensetzen und sie inklusiver, sozialer und nachhaltiger machen!"
Was die Rotterdamer DNA angeht, zieht El Ouali, Sohn marokkanischer Eltern und im Quartier Delfshaven geboren und aufgewachsen, alle Register. Er skizziert den Aufstieg Pim Fortuyns, die "Ideen von Islamisierung und Muslimen, die die Stadt übernehmen". Sein Fazit: Auch die Gegenbewegung muss in dieser Stadt ihren Anfang nehmen. "Wir Rotterdamer sind stolz auf unsere Diversität, genau wie auf die Schiffe, die von überallher in unseren Hafen kommen." Was aber meint NIDA mit "islamischer Inspiration"? El Ouali, ein freundlicher, zugänglicher Zeitgenosse, nimmt sich nach seiner Rede Zeit für diese Frage. Die Antwort aber bleibt vage. Er spricht vom Islam als "Ansporn zum Guten" und "Quelle positiver Energie" und der Notwendigkeit, Islamophobie etwas entgegenzusetzen. Eine muslimische Partei sei Nida aber nicht: "Auf der Liste stehen alle möglichen Menschen. Gläubig oder nicht, spielt keine Rolle." Eher gehe es um universelle Punkte wie die radikale Gleichheit aller Menschen - "auf die der Islam aber kein Monopol hat".
Bei Leefbaar Rotterdam bekommt man ob solcher Konzepte das kalte Grausen. Die Partei, aus der 2001 Pim Fortuyn hervorging, ist die populistische Ursuppe der Niederlande. Die letzten Kommunalwahlen 2014 gewann sie mit Abstand. Im aktuellen Wahlkampf setzt man, wie sollte es anders sein, auf das Thema Identität. An einem Februarabend hat "Leefbar" ins Weltmuseum am Maasufer geladen. Eine Podiumsdiskussion steht an. Thema: die "Weg-mit-uns-Debatte".
"Weg-mit-uns" ist eins dieser Schlagworte, bei denen die Stimmung in den Niederlanden gleich hochkocht. Es geht um die vermeintliche Abschaffung der kulturellen Identität im Zuge von Multikulti. Auf dem Podium fliegen innerhalb kürzester Zeit die Fetzen: zwischen einem linken und einem rechten Publizisten, der Erdogan-kritischen, türkischstämmigen Moderatorin Ebru Umar und Farid Azarkan, der für Denk im Parlament in Den Haag sitzt. Azarkan hat Unterstützer mitgebracht, die johlen, buhen und rufen. Auch der Rest des Publikums geht lebhaft mit.
Mehr ethnische Parteien
Später am Abend ist Joost Eerdmans, der Spitzenkandidat von Leefbaar, besorgt: über die wachsende Zahl ethnisch definierter Parteien. "Früher wählten Ausländer Sozialdemokraten. Jetzt wählen sie eine Partei, die aus der Türkei gelenkt wird, oder eine islamische. Es gibt sogar eine Partei für Afrikaner! Bald haben wir eine für jede Nationalität", schnaubt der Spitzenkandidat.
Eerdmans, 47, war in den letzten vier Jahren Stadtrat für Sicherheit in Rotterdam. Einst saß er für die Partei Pim Fortuyns im Parlament in Den Haag. Die Stadt sieht er nun "an einer Kreuzung": Geht es weiter mit dem Weg, den Rotterdam zuletzt einschlug? Harter Kurs in puncto Integration und Sicherheit? Oder gewinnt das "Opferdenken" die Überhand, das er migrantischen Parteien vorwirft? Einer Sache ist sich Eerdmans gewiss: Die Niederlande blicken auf seine Stadt. "Hier kommt alles zusammen: Denk, Nida, die PVV und wir. Der Fokus liegt wie immer auf Rotterdam!"