Wer in den Verfassungsgerichtshof will, braucht ein Regierungsticket. Wie stark ist die politische Loyalität im Hinterkopf?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Wenn der Verfassungsgerichtshof ein Erkenntnis verkündet, streifen die zwölf Mitglieder, die Präsidentin und ihr Stellvertreter die markanten Talare über, die schwarzen Roben mit weißen Krägen aus Samt und Hermelin. Das soll Gleichheit symbolisieren und eine rechtgläubige Distanz vor der eigenen Gesinnung, formulierte es einmal der "Standard". Doch diese Lesart ist trügerisch. Unter der Tracht verbergen sich die Farben der Regierungsparteien. Die Verfassungsrichter werden parteipolitisch bestellt.
Am Mittwoch haben sich ÖVP und FPÖ auf ihre Liste mit Neubesetzungen geeinigt. Und das reichlich spät. Seit Jahresbeginn waren drei Stellen vakant, Präsident Gerhard Holzinger und zwei weitere Verfassungsrichter mussten 70-jährig ausscheiden.
Brigitte Bierlein, die Holzinger bereits interimistisch vertrat, rückt zur Präsidentin auf, Vizepräsident wird Christoph Grabenwarter. Er soll ihr 2020 als Präsident nachfolgen. Grabenwarter kam mit einem ÖVP-Ticket ins Höchstgericht, Bierlein wurde 2003 von der schwarz-blauen Regierung als Vizepräsidentin nominiert und soll nun auf Drängen der FPÖ befördert worden sein. Ebenfalls auf einem Regierungsticket zieht Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) ein. Zwei weitere freie Richterposten werden - mit Vorschlagsrecht der Freiheitlichen - vom Parlament bestellt. Dafür halten Nationalrat und Bundesrat noch Hearings ab. Als Favoriten dafür werden der Linzer Universitätsprofessor Andreas Hauer und der Rechtsanwalt Michael Rami genannt.
Die türkis-blaue Regierung hat also ihre Kandidaten untergebracht. Doch wie stark ist die politische Loyalität der Höchstrichter?
"Richter entwickeln Eigenleben"
Ein Ex-Präsident des Höchstgerichts, Ludwig Adamovich, sagte einmal: "Es kommt niemand hinein, der nicht das Vertrauen einer politischen Kraft hat. Doch dass die Richter deshalb wie ferngesteuerte Zinnsoldaten agieren, ist nicht wahr." In der Geschichte des Verfassungsgerichtshofs seien oft genug Entscheidungen entgegen der parteipolitischen Farbenlehre gefällt worden, sagt Adamovich zur "Wiener Zeitung". Etwa in den 90er Jahren bei der Entscheidung über die steuerliche Absetzbarkeit der Unterhaltsleistungen an Kinder. Außerdem werden Verfassungsrichter automatisch bis zum 70. Lebensjahr bestellt, was die parteipolitischen Spurenelemente neutralisieren würde. Im Laufe einer solchen Richterkarriere können Regierungen mehrfach wechseln und so auch jene Kräfte, die davon profitieren könnten, so Adamovich.
Bruno Kreisky machte den heute 85-jährigen Adamovich einst zum Leiter des Verfassungsdienstes, Fred Sinowatz zum Gerichtspräsidenten. Zwei Sozialdemokraten also. Seine ÖVP-Mitgliedschaft "gestand" Adamovich erst später und legte sie 1983 zurück. Allerdings weil er von seiner Partei als "Handlanger der Roten" bezeichnet wurde.
Auch die Vita des seit Jahresbeginn pensionierten Präsidenten Gerhart Holzinger wurde vor zehn Jahren gründlich seziert. In Studententagen war er dem konservativen Cartellverband beigetreten, an sich ein Indiz für ÖVP-Nähe. Allerdings werkte er dann lange im Verfassungsdienst des damals roten Kanzleramtes. Die SPÖ bezeichnete Holzinger deshalb bei seiner Bestellung offensiv als einen der ihren - da konnte Holzinger noch so sehr auf "absolute politische Neutralität und Abstinenz" pochen.
Bis zur Jahrtausendwende wurden die Richterbestellungen am Höchstgericht mittels rot-schwarzem Proporz ausverhandelt. Erst 2003 (bis 2010) zog mit Herbert Haller unter Schwarz-Blau der erste und bisher einzige Richter über ein freiheitliches Ticket ein.
"Im Amt entwickeln die Richter ein Eigenleben", sagt der Verfassungsrechtler Alfred Noll, der für die Liste Pilz im Parlament sitzt. "Von welcher Partei jemand nominiert wird, heißt nicht in allen Fällen oder auf alle Zeiten, dass er den in ihn geweckten Erwartungen auch treu bleibt." Aus der Vergangenheit wisse man, dass sich die Richter nicht an Parteivorgaben halten würden. So habe es konservative Rote genauso wie fortschrittliche Schwarze geben.
Es sei aber seit jeher klar, dass das Verfassungsgericht als juristisch-politisches Grenzorgan politisch bestellt wird, so Noll. Es gebe auch kein Beispiel dafür, dass das je anders gewesen wäre. Eine zentrale Aufgabe der Verfassungsrichter ist es, als Kontrollorgan des Nationalrats zu fungieren und jeden Akt des Gesetzgebers am Maßstab der Verfassung zu prüfen und gegebenenfalls aufzuheben.
Die wachsamen Wächter
"Gerade weil sich das Politische bei der Bestellung nicht vermeiden lässt, bin ich seit jeher ein großer Anhänger davon, dass der Verfassungsgerichtshof abweichende Meinungen einzelner Richter publik machen oder gar öffentlich abstimmen soll", so Noll. "Einerseits, um zu zeigen, dass nicht alles einstimmig abgesegnet wird. Andererseits, um die Begründungspflicht zu erhöhen." Damit könne man Luft aus der Debatte nehmen.
Dass der Verfassungsrichter Johannes Schnizer im Zuge der Aufhebung der Bundespräsidentschaftswahl 2016 in mehreren Interviews öffentlich seine Meinung äußerte und behauptete, die FPÖ hätte diese von langer Hand geplant, glich unter seinen Kollegen am Gerichtshof, die sonst den Schein der Einstimmigkeit wahren, fast schon als Skandal.
In den vergangenen Jahren hat der Verfassungsgerichtshof eine immer gewichtigere Rolle in der Politik gespielt. Bis Ende 1970er Jahre trat dieser noch eher "konsensual" auf und ließ die Politik meist gewähren. Das änderte sich seither immer stärker. So hatte das Höchstgericht unter anderem die Vorratsdatenspeicherung aufgehoben, die Benachteiligung homosexueller Adoptionswilliger beseitigt, Samenspenden für lesbische Frauen möglich gemacht, den Berufsfotografen aus dem Korsett des "reglementierten Gewerbes" gezogen und die Ehe für alle durchgesetzt.
Der Zugewinn an politischem Gewicht hat mehrere Gründe. Einerseits hatten die ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP zuletzt ihre Verfassungsmehrheit verloren, die nun mühsam und politisch teuer mit der Opposition ausgehandelt werden musste. Das gilt nun ebenso für Türkis-Blau, die für Zweidrittelmehrheiten zumindest die Neos brauchen. Andererseits waren die jüngsten rot-schwarzen Koalitionen zunehmend entscheidungsschwächer und standen im Verdacht, gewisse Entschlüsse stillschweigend auf den Verfassungsgerichtshof auszulagern, etwa Fragen zur Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare. Die Regierungsspitze schien es manchmal besser zu finden, vom Höchstgericht gerügt zu werden, als die eigene Wählerschaft mit koalitionären Kompromissen gegen sich aufzubringen.