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Die EU als Versicherung auf Wechselseitigkeit

Von Reinhard Göweil aus Brüssel

Politik

Faymann bei EU-Treffen als Mittler zwischen Hollande und Merkel.


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Brüssel. "Es wird keine Tabus geben, was die längerfristigen Perspektiven betrifft", sagte Bundeskanzler Werner Faymann vor dem informellen Treffen der EU-Regierungschefs in Brüssel. Dem Papier nach ging es um die Stärkung des Wachstums in Europa, um die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

Nach dem Wahlsieg François Hollandes bedeutete dies allerdings auch, dass es um die künftige wirtschaftspolitische Ausrichtung der Union ging. Unverminderter Schuldenabbau oder höhere Ausgaben für wirtschaftliche Impulse? Natürlich ist die Welt nicht in diesem Ausmaß schwarz-
weiß - vor allem in der Politik nicht. Und so ging es am Mittwoch beim langen Abendessen nicht nur um sozialdemokratische gegen konservative Rezepte, sondern auch um Nord gegen Süd, um Ost gegen West, um Euroländer gegen Nicht-Euroländer.

"Mr. Euro" und die Finanztransaktionssteuer

Konservativ regierte Länder wie Spanien mit hoher Arbeitslosigkeit und dem Wunsch, den Sparkurs aufzuweichen, trafen auf sozialdemokratische Länder wie Österreich mit geringer Arbeitslosigkeit und durchaus erklärtem Sparwillen. Osteuropäische Länder unter Führung Polens forderten eine stärkere Ausweitung des EU-Budgets, Länder wie Deutschland und Großbritannien waren dagegen. Und es ging - wie in Europa üblich - um Deals. Die Regierungschefs unternahmen einen letzten Versuch, den luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker als Chef der Eurogruppe zu halten. Deutschland will ja seinen Finanzminister Wolfgang Schäuble in diese Position hieven.

Frankreichs neuer Präsident Hollande ist dagegen. EU-Beobachter glaubten im Vorfeld der Sitzung, dass die anderen EU-Länder Schäuble zustimmen würden, wenn sich Deutschland an die Spitze der "Koalition der Willigen" für eine Finanztransaktionssteuer stelle. Da es dazu keine einheitliche Meinung in der EU gibt und vor allem die Briten und die Schweden dagegen sind, könnte die Mehrzahl der Euroländer sie einführen. Dies wird auch von Österreich und Kanzler Faymann vehement vertreten.

Es soll eine tatsächliche Finanztransaktionssteuer und keine - auf einige Geschäftsbereiche der Banken konzentrierte - Börsenumsatzsteuer sein. Es geht hier um einen dreistelligen Milliardenbetrag. Die Sorge, dass sich Finanzgeschäfte in Offshore-Zentren konzentrieren könnten, wird von vielen Ökonomen nicht geteilt, denn das (zu versteuernde) Grundgeschäft findet ja in Europa statt.

Ebenfalls auf der Speisekarte stand eine Debatte um sogenannte Eurobonds. Die Länder der Eurozone würden demnach ihre Schulden gemeinsam finanzieren. Problemländer wie Spanien müssten damit weniger Zinsen zahlen und hätten so mehr Budgetmittel für Wachstum zur Verfügung. Die Gegner wenden ein, dass dadurch der Spardruck auf die ohnehin laxe Budgetpolitik jener Regierungen sinken würde und dies das falsche Signal wäre.

Rehn will Eurobonds, Merkel in der Isolation

EU-Kommissar Olli Rehn - ein Befürworter der Eurobonds - legte daher im Vorfeld des Treffens einen Plan zu einer politischen Union vor. Er bezeichnete dies als "Union auf Wechselseitigkeit". Budgetsünder würde man demnach - früher als Griechenland jetzt - an die Kandare legen: Mit der nationalen Budgethoheit wäre es dann vorbei. Rehn bezeichnete dies denn auch als "mittel- bis längerfristiges Projekt".

Vor allem Deutschland, das derzeit so gut wie keine Zinsen für seine Staatsanleihen bezahlen muss, ist strikt gegen den Plan - weshalb sich Kanzlerin Angela Merkel derzeit (wie in Brüssel mehrfach kommentiert) eher isoliert fühlen muss. Die OECD, der Internationale Währungsfonds, die USA, viele EU-Länder und auch das EU-Parlament fordern von ihr, die alleinige Ausrichtung auf einen strikten Sparkurs Europas aufzugeben. Auch die Europäische Zentralbank kann sich eine etwas höhere Inflationsrate vorstellen, um den Druck zu mindern. Denn mit 25 Millionen Menschen ohne Job liegt die Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau.

Kanzler Faymann jedenfalls fand sich beim EU-Treffen in der Rolle des Mittlers zwischen den Welten wieder. Als Sozialdemokrat hat er eine intakte Gesprächsbasis mit dem Sozialisten Hollande. Beide wollen auch die Finanztransaktionssteuer. Auf der anderen Seite steht er auf Merkels Seite in der Frage der Budgetdisziplin. So überbrachte er den Sozialdemokraten auch die Botschaften der in der Europäischen Volkspartei vereinten Regierungschefs. Und zu guter Letzt soll er dem Vernehmen nach Verständnis für den Brief der osteuropäischen Länder haben, die eine deutliche Erhöhung der EU-Strukturfonds forderten. Die österreichische Wirtschaft ist in diesen Staaten stark engagiert.