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Die EU -am eigenen Anspruch gescheitert

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv

Alpbach - Mitunter ist der interne Blick auf den Fortgang des eigenen Projekts von den bisher erreichten Erfolgen allzu verklärt. Der nüchterne Blick von außen ermöglicht daher nicht selten eine ungeschöntere Bestandsaufnahme von Anspruch und Wirklichkeit. Das gilt auch für die EU.


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Shlomo Avineri, Politologe auf der Hebräischen Universität in Jerusalem, greift auf ein Bonmot George Bernard Shaws zur Musik von Richard Wagner zurück und adaptiert es für seine persönliche Einschätzung der Europäischen Union: Diese sei, so Avineri, "nicht so schlecht wie sie klingt". In seiner Analyse der EU verweist er auf zwei große Defizite: Das eine zeige sich am Beispiel des Umgangs mit der Türkei als möglichem EU-Beitrittskandidaten, das andere am europäischen Anspruch auf eine ethische Außenpolitik.

"Hat das Unbehagen mit einem möglichen EU-Beitritt der Türkei in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung tatsächlich nur mit dem Umstand mangelnder demokratischer Reife und Minderheitenrechte zu tun oder doch eher damit, dass es sich bei der Türkei um ein islamisches Land handelt?", so Avineri. Vor allem am Umgang der EU mit der Türkei im Besonderen und dem Islam im Allgemeinen werde sich zeigen, ob die EU tatsächlich einem universellen Wertekatalog folgt und offen für Pluralität und Diversität ist.

Ein weiteres Problem sieht der israelische Politologe darin, dass die EU den Anspruch erhebt, mithilfe ihrer Außenpolitik ethischen Werten zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu fehle ihr jedoch, wie die Balkan-Krisen des vergangenen Jahrzehnts gezeigt haben, die geeigneten Mittel zur Umsetzung. Daher trägt für Avineri die EU Mitverantwortung für die Massaker von Sarajewo, Vukovar und Srebrenica. An diesem Beispiel zeige sich einmal mehr der gravierende Unterschied, der zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik in der Außenpolitik bestehe.