Zum Hauptinhalt springen

Die EU ändern - nicht zerschlagen

Von Werner Kogler

Gastkommentare
Werner Kogler ist stellvertretender Klubobmann der Grünen.

Nach dem Brexit-Referendum muss der Austritt rasch verhandelt werden, gleichzeitig muss die Union ihre Aufgaben erfüllen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Was sich um das sogenannte Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich abgespielt hat, ist ein Lehrbeispiel des rücksichtslosen Rechtspopulismus und dummdreister nationalstaatlicher Rückfallstäterei. Aber nicht nur. In kleinerem Ausmaß finden sich auch Hinweise auf tatsächliche Benachteiligungen und eingebildete Überforderungen der Modernisierungsverlierer und jener, denen die rasche Globalisierung und deren Folgen nicht in gleicher Geschwindigkeit begreifbar sind. Es gilt also hinzuschauen: Was ist in UK passiert? Was ist in der EU passiert? Was sind die Lehren? Und wie soll es jetzt weitergehen?

Zunächst muss einmal festgehalten werden, dass der Austritt eines Mitgliedstaates aus der Union nichts Illegitimes ist. Und dass Volksabstimmungen darüber zulässig sein können. Die Art und Weise wie das vor dem Brexit-Referendum und unmittelbar danach gelaufen ist, ist aber eine abenteuerliche Hasardiererei von völlig verantwortungslosen Akteuren. Die mit dem Vorschlaghammer agierenden Typen

à la Farage und Johnson haben vor keiner Unwahrheit zurückgeschreckt, viele diagnostizieren Lug und Betrug. Schon am Tag danach mussten zentrale Ankündigungen zurückgenommen werden. Zudem wurde extrem ausländerfeindlich "argumentiert", mit der Folge, dass etwa viele Kinder von Einwanderern gemobbt wurden und fremdenfeindliche Übergriffe rasant zugenommen haben. Sogar ein politisch motivierter Mord an einer Labour-Abgeordneten ist durch diese hysterische Kampagne begünstigt worden.

Monatelang hatten die Brandstifter aus vollen Benzinkanistern geschüttet, dann die Zündhölzer geworfen und unmittelbar nach dem Abstimmungsergebnis die Flucht ergriffen. Und jetzt, da die Hütte lichterloh brennt, sehen viele, dass diese Typen keinen Plan und keine Orientierung haben. Die erkennbar blanke Hilflosigkeit ist Teil dieser totalen Verantwortungslosigkeit. Auf einmal soll der Austritt nicht schnell verhandelt, sondern verzögert werden.

Es muss aber rasch verhandelt werden. Immerhin mit dem Vorteil, dass die erpresserischen Extratouren der Inselpolitiker weniger europäischen Schaden anrichten können. Oder: Der größte schwimmende Extrawurststand driftet weg.

Umgekehrt muss sich jetzt die Politik der EU umso mehr ändern. Radikale Verbesserungen in Wirtschaft und sozialer Sicherung tun not. Im Haus der EU besteht nämlich auch ohne Brandstifter enorme Brandgefahr. Selbstentzündungsgefahr. Wegen ideologisch getriebener Kürzungspolitik bleiben in vielen Bereichen notwendige Investitionen aus. Viele sehen die Union und ihre Institutionen durch Konzernlobbys und neoliberaler Überzeugungstäter gekapert. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent in den südeuropäischen Ländern geht aufgrund dieser verfehlten Wirtschaftspolitik nicht nur die Glaubwürdigkeit der EU, sondern gleich eine ganze Generation verloren.

Wir brauchen also eine vernünftige Finanzpolitik, die die sozialen Verhältnisse verbessert, Investitionen erzeugt und die ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt. Vieles davon funktioniert gemeinsam viel besser. Deshalb nicht die Union zerschlagen, sondern die europäische Politik ändern!