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Die EU auf atomaren Abwegen?

Von Reinhold Christian

Gastkommentare
Reinhold Christian ist Physiker und seit mehr als 40 Jahren beruflich und ehrenamtlich im Einsatz für Umwelt- und Naturschutz, Energieforschung, Erwachsenenbildung, Stadtplanung, Projektmanagement, Konzeptentwicklung, Politikberatung. Er ist unter anderem Präsident des Forums Wissenschaft & Umwelt, Vorsitzender von Umwelt Management Austria und Vizepräsident des Umweltdachverbands.
© FUW

Die Relevanz der Kernenergie für eine allfällige Minderung der Treibhausgase ist minimal.


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In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat die EU-Kommission zu Silvester einen "Vorschlag zu Erdgas- und Kernenergieaktivitäten in der EU-Taxonomie" zur Begutachtung mit äußerst kurzer Frist bis zum 12. Jänner vorgelegt. Warum das? Künftig sollen Kernenergie und Erdgas als nachhaltig und umweltfreundlich anerkannt werden.

Der wahre Sachverhalt ist klar: Atomkraft ist riskant, nicht sauber, nicht emissionsfrei, nicht auf Dauer verfügbar, nicht erneuerbar, aber teuer und gefährlich. Global deckt sie derzeit etwa 2 bis 3 Prozent des Energieverbrauchs. Die Relevanz für eine allfällige Minderung der Treibhausgase ist entsprechend minimal. Selbst die IAEA räumt der Technologie langfristig keine große Steigerung des Anteils an der Strombereitstellung ein.

Natürlich weiß das auch "die EU" - von der Wissenschaft bis zur Politik. Hinweise der unabhängigen Wissenschaft fanden aber im gegenständlichen Entwurf keine Berücksichtigung. Man wird sich gegenüber Kritik wohl auf eingefügte Vorbehalte berufen.

So soll diese Nachhaltigkeit nur gelten, wenn es keine umweltfreundlichen Alternativen zu Atomkraft und Erdgas gibt, weil etwa die Erneuerbaren zu spät und in zu geringem Umfang gewonnen werden. Tatsächlich haben das Mengen- und das Zeitproblem aber nicht die erneuerbaren Energien, die sehr hohe Potenziale aufweisen, sondern die Kernenergie, deren Verdoppelung mit enormem Aufwand den weltweiten Anteil von gut 2 auf 5 Prozent erhöhen könnte. Erneuerbare und Energieeffizienz können dagegen jeweils ein Vielfaches beitragen.

Das AKW Olkiluoto-3 (Finnland) ging 2021 in Betrieb - mit zwölf Jahren (!) Verspätung. Flamanville-3 ist seit 2012 in Bau. Enorme Kosten- und Bauzeitzeitüberschreitungen sind typisch für die Atomkraft. Für die Genehmigung von AKW muss unter anderem ein Konzept für das langfristige Management der hochaktiven Abfälle vorgelegt werden. Die Suche nach langfristigen Atommülllagern läuft. Aktuelle Hoffnungen ruhen auf der finnischen "Lösung" eines Tiefenlagers, deren Tauglichkeit aber zumindest fraglich ist. Die konkrete Praxis weist auf das Gegenteil hin. Es ist zu erwarten, dass in der Praxis nie erprobte Konzepte vorgelegt und auch genehmigt werden.

Frankreich hat seinen guten Vorsatz, den Anteil der Atomenergie an der Stromaufbringung bis 2050 von 75 auf 50 Prozent zu reduzieren, offenbar ad acta gelegt. Präsident Emmanuel Macron tritt stattdessen für den Bau sogenannter Small Modular Reactors (SMRs) ein. Das sind wesentlich kleinere Reaktoren als aktuell üblich, die in großer Zahl errichtet werden müssten, um durch Vorteile wie Serienproduktion und Standardisierung wirtschaftlich mit herkömmlichen AKW konkurrieren zu können. Die spezifischen Gestehungskosten wären damit allerdings immer noch dreimal so hoch wie jene der erneuerbaren Energieträger (Wind, Sonne). Nicht auszudenken, wie sich die Risiken entwickeln, wenn hunderte oder tausende SMRs in der Nähe der Verbraucher errichtet werden. Öffentlichkeit, NGOs und Zivilgesellschaft sind entgegen sonstigen Usancen der EU von der Begutachtung ausgeschlossen.

Die Petition "The Argument against Nuclear Power as Sustainable for Finance" fasst die wissenschaftlichen Argumente zur Taxonomie-Verordnung zusammen und soll in der weiteren Diskussion eine Rolle spielen: https://www.petitions.net/the_argument_against_nuclear_power_as_sustainable_for_finance