Es ist in Mode gekommen, die zwischen "der" arabischen Welt und "dem" Westen bestehenden Unterschiede als unvereinbare Gegensätze aufzubauen. Dass dies nicht der einzige Weg der Auseinandersetzung ist, zeigt der libanesische Journalist Jihad El Zein. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm in Alpbach über die Probleme der arabischen Welt auf dem Weg in die Moderne, die Chancen eines EU-Beitritts der Türkei und die Anziehungskraft des europäischen Integrationsprozesses.
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Die Probleme, die das Verhältnis zwischen den beiden Kulturkreisen überschatten, sind Legion, der israelisch-palästinensische Konflikt und der Irak-Krieg dabei nur die Spitzen des Eisbergs. Eine der Ursachen liegt für El Zein im gescheiterten Nationsbildungsprozess der Staaten in dieser Region: Zwar gebe es eine arabische Nation im kulturellen, nicht jedoch im politischen Sinn. Der ehemalige ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser ist hier mit seinen Versuchen ebenso gescheitert wie Iraks Ex-Präsident Saddam Hussein mit seiner, wie El Zein es nennt, "dekadenten Variante des arabischen Nationalismus".
Die kulturelle wie politische Marginalisierung habe zwar zur Etablierung eines arabischen Minderwertigkeitskomplexes geführt, doch sei dieser einer der wichtigsten Motoren für Reformen gewesen. Heute allerdings müsse sich die arabische Elite eingestehen, dass ihr Reformprojekt gescheitert sei.
Als Konsequenz daraus wachse nun die Einsicht, dass man sich "nach Alternativen für das überkommene Modell des Nationalstaats umsehen" müsse, erläutert der Kolumnist der Beiruter Tageszeitung "Al-Nahar". Und der Blick der arabischen Eliten bleibt immer öfter am europäischen Beispiel einer wirtschaftlichen und politischen Integration hängen, zeigt die Europäische Union doch vor, wie sich auch ohne starkes Zentrum nationale Vielfalt in einer Einheit niederschlagen kann.
Große Hoffnungen setzt El Zein auch auf einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. Diese könnte dann als Vorbild für ein demokratisches Land mit einer islamischen Bevölkerung dienen. Im Vergleich zum ebenfalls mit der Demokratie experimentierenden Islamischen Republik Iran hält El Zein die Türkei zwar für das "momentan attraktivere Modell". Das könnte sich jedoch ändern, wenn die Reformen des Mullah-Regimes erfolgreich enden. Schließlich sind von dort schon einmal demokratische Impulse in die islamische Welt hinaus gesendet worden: "1905 trat in Teheran die erste demokratische Verfassung in Kraft, die Türkei folgte erst 1908", erinnert El Zein.