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Die EU braucht auch Kritik

Von Barbara Blaha

Gastkommentare
Barbara Blaha ist Autorin, Gründerin des Politkongresses Momentum und ehemalige Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft. 2007 trat sie aus der SPÖ aus.

Wer sich dem europäischen Gedanken verpflichtet fühlt, muss bereit sein, die Probleme der real existierenden Europäischen Union anzusprechen.


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Europa hat haufenweise Probleme. Es ist aber beinahe unmöglich, diese offen zu benennen, ohne reflexartig ins anti-europäische Eck gestellt zu werden. Das verunmöglicht die dringend nötige Debatte über die Zukunft Europas. Die wahrhaft europäische Tat kann doch nicht im Ernst darin bestehen, offenkundige Defizite und eine daraus resultierende Legitimationskrise des europäischen Projektes schlicht in Abrede zu stellen. Es sind die Schönfärber, die Prediger von der Alternativlosigkeit, die Europa schwer beschädigen. Es sind aber auch jene, die unhaltbare Zustände totschweigen, um aus falsch verstandener Solidarität die europäische Einigung nicht zu gefährden. Beide überlassen die Artikulation von Unmut den Nationalisten, die längst ein Monopol auf Kritik haben. Mit fatalen Folgen.

Wer sich dem europäischen Gedanken verpflichtet fühlt, muss bereit sein, die real existierende EU in aller gebotenen Schärfe zu kritisieren, darf aber bei der Tagespolitik nicht haltmachen. Ja, das Freihandelsabkommen TTIP ist eine veritable Bedrohung. Ja, die Krisenpolitik der EU ist ein ausgemachter Skandal, hier wird tatsächlich eine ganze Generation sehenden Auges um ihre Zukunft gebracht, während Banken und Reiche auf Kosten der Allgemeinheit gepäppelt werden. Ja, die EU agiert bei der Ukraine reichlich unbeholfen. Und ja, Europas Asylpolitik spottet jeder Beschreibung.

Aber wahr ist auch: Eine grundlegende Wende hin zu mehr Demokratie, sozialer Sicherheit, Frieden und Nachhaltigkeit wird es mit dieser EU nicht geben. Sie wird erst Politik im Interesse der Mehrheitsbevölkerung machen, wenn sie deren demokratischer Kontrolle unterworfen wird. Kommission und Rat haben viel zu viel Macht, das Parlament hingegen ist lachhaft schwach. Die einzige direkt gewählte Volksvertretung soll ein Gremium ohne Initiativrecht, ohne ernstzunehmende Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Exekutive (in erster Linie der Kommission), ohne Einflussmöglichkeiten auf die Finanz-, die Außen- und die Sicherheitspolitik sein? Wie bitte?

Die zentralen demokratiepolitischen Checks und Balances fehlen auf europäischer Ebene. Stattdessen sehen wir eine Exekutive, die sich im Zuge der Finanzkrise und der ihr folgenden Austeritätsspirale zunehmend verselbständigt hat. Skepsis ist hier kein Ausdruck von borniertem Chauvinismus, sondern von demokratischer Selbstachtung.

Das Demokratiedefizit der EU ist nicht neu, geschehen ist bisher nichts. Nach wie vor sind nationalstaatliche Exekutiven auf EU-Ebene legislativ tätig. Die Vollzugsorgane und jene, die durch ihre wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten direkten Zugang zu ihnen haben, machen sich oft EU-weit ihre Gesetze selbst.

Aber auf einem undemokratischen Fundament wird man kein demokratisches Europa bauen können. Das Vehikel zur Demokratisierung der EU ist wohl nicht das Hoffen auf die Einsicht jener, die dem aktuellen System ihre Macht verdanken.

Wir brauchen eine demokratische Verfassung für Europa. Wir brauchen geschriebenes Recht, das uns nicht entmündigt, sondern unsere Interessen durchsetzt.

Das soll unrealistisch sein? Nun:

Es ist mit Sicherheit nicht weniger realistisch als die Annahme, die heutige EU könne mit einem solchen Maß an Ablehnung in der eigenen Bevölkerung dauerhaft bestehen.