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Der Stockholmer EU-Wirtschafts- und Beschäftigungsgipfel mit moderatem Programm ist mit einem moderaten Ergebnis zu Ende gegangen. Einigen konnten sich die EU-Länder auf eine gemeinsame Regelung der Wertpapiermärkte. Bezüglich des Ziels, die Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum zu machen, konnten sich die EU-15 vorerst nur zu Absichtserklärungen durchringen. An den Vorhaben zur Marktliberalisierung wird festgehalten. Zur Hebung der Erwerbsquote generell und der Beschäftigung von Frauen und Älteren im Besonderen wurden Zwischenziele formuliert.
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Der nächste Sommer kommt bestimmt. Dann gibt es wieder mehr Urlaubsreisen - und damit häufen sich Verspätungen im Flugverkehr. Die Kosten dafür werden mit zehn Milliarden Euro beziffert. Damit soll bald Schluss sein. Denn die EU hat sich vorgenommen, einen "single European sky" zu schaffen: Die Flugverkehrsrouten sollen nicht mehr länderweise genehmigt werden, sondern EU-weit. Das wäre effizienter. Die nationalen Kontrollbehörden würden damit wegfallen - und die EU-Mitgliedsländer ein weiteres Stück ihrer nationalen Souveränität abgeben. Ein gemeinsamer europäischer Flugverkehrsraum würde um 50 Prozent mehr Kapazität für Flugzeuge schaffen. Doch die Umsetzung des Plans scheiterte bisher an Spanien und Großbritannien. Die beiden EU-Gründerstaaten können sich nicht über den Luftraum der britischen Kolonie Gibraltar an der spanischen Südküste einigen.
An die 100.000 neue Arbeitsplätze erhofft sich die EU von der Errichtung eines eigenen Satellitennetzwerks, das auf den Namen "Galileo" getauft wurde. Die Pläne werden seit knapp einem Jahrzehnt diskutiert. Kosten für das Satelliten-Kommunikationssystem: 3,5 Milliarden Euro. Den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland ist das zu viel. Frankreich, Spanien und Italien - beziehungsweise die Hochtechnologieunternehmen in diesen Ländern - sind wiederum für Galileo. Also wurde in Stockholm auch darüber die Entscheidung erneut vertagt.
Gegen eine baldige Energiemarktliberalisierung, die von der Kommission heftig gefordert wird, legt sich Frankreich quer. Der Gas- und Strommarkt sollte bis 2005 für Unternehmen geöffnet werden, bis 2007 für Konsumenten. "Manche Regierungen wollen staatliche Monopole schützen, wir tun das nicht", meinte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. "Wir wollen eine rasche Liberalisierung." Die Lösung könne nur in einer "mutigeren Marktöffnung" liegen - wobei für Österreich wichtig sei, dass in den Mitgliedstaaten gemeinsam liberalisiert werde. Es könne nicht sein, dass einzelne Länder "früher aufmachen und auf Einkaufstour gehen" auf anderen Märkten, so Finanzminister Karl-Heinz Grasser.
Frankreich ist die soziale Komponente wichtig. Marktliberalisierungen dürften nicht ohne Rücksicht auf die Arbeitnehmer erfolgen. Außerdem sei eine Öffnung der Energiemärkte ohne Regulierungsbehörde unmöglich. Gegen eine eigenständige Regulierungsbehörde für den Energiemarkt, wie das die Kommission verlangt, sperrt sich aber Deutschland. Die Liberalisierung der Post bis 2003 voranzutreiben lehnt wieder Frankreich ab. Ein Beweis mehr für die Dominanz der Achse Deutschland-Frankreich. Ohne die potenten Mitglieder sind in der EU keine Reformen zu machen. Wenngleich Österreichs Kanzler Schüssel meint, er "brauche keine Achse", er sei kein Auto.
Der Konsens der EU-Wertpapierregelung sieht die Schaffung der Kernelemente eines Finanzbinnenmarktes bis 2003 vor. Für die Unternehmen soll das geringere Kapitalbeschaffungskosten bedeuten. Finanzminister Grasser sieht darin eine Ersparnis bis zu einem Prozent des BIP oder 30 Mrd. Schilling für Österreich. Die Wertpapierregelung ist ein erstes Mosaiksteinchen im EU-Plan, den weltweit stärksten Wirtschaftsmächten USA und Japan angesichts ihrer Wirtschaftsdaten bis 2010 den Rang abzulaufen.
Nicht durchgesetzt wurde trotz EU-Agrarkrise der Vorschlag Österreichs, die Lebensmittelbehörde, die erst ab 2002 tätig werden sollte, sofort einzurichten. Auch für ein dauerhaftes Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Pflanzenfresser fand sich in Stockholm keine Mehrheit. Für die von der Agrarkrise betroffenen Länder (vor allem Großbritannien) gab es eine Solidaritätserklärung.
Das Thema der Freizügigkeit von Arbeitskräften nach der EU-Osterweiterung wurde von Bundeskanzler Schüssel aufgegriffen. Dem deutschen Kanzler Schröder blieb nichts anderes übrig, als den Vorstoß zu Übergangsfristen - der ursprünglich von ihm selbst kam - zu bekräftigen. Stehen Deutschland doch im nächsten Jahr Wahlen ins Haus. Da gilt es, auf latente Ängste der Bevölkerung vor einer möglichen Migrationswelle schon jetzt Rücksicht zu nehmen. Seit Übergangsfristen thematisiert werden, steige die Akzeptanz der Bevölkerung zur Osterweiterung, gab sich Schüssel zufrieden. "Seither herrscht an den Stammtischen und in der gesamten Öffentlichkeit wieder Lufthoheit."