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Die EU in der Migrationsmisere

Politik

Die Suche nach Lösungen zur Aufteilung von Flüchtlingen hat die EU-Mitgliedstaaten keineswegs zusammenrücken lassen.


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Jeder redet von Solidarität - ein Wort mit enormer Bedeutungsvielfalt, wenn es um die Aufteilung von Flüchtlingen in der EU geht. Seit Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wird appelliert, gerungen und beschuldigt. Grundlegend verändert hat sich in den letzten vier Jahren aber wenig. Offiziell ist immer noch das Dublin-Abkommen in Kraft - ein Vertrag, der längst nicht mehr funktioniert, weil er bestimmte Länder überproportional belastet, die sich als jene Staaten, in denen Flüchtlinge erstmals EU-Territorium betreten, um die Asylansuchen kümmern müssten. Andere ziehen sich - mit Verweis auf diese Regelung - aus der Verantwortung.

Als sich Minister aus mehreren EU-Ländern am Donnerstag und Freitag in Wien versammelten, wollten sie einer gemeinsamen Perspektive in der heiklen Frage zumindest näher kommen. Die Plattform International Centre for Migration (ICMPD), der der österreichische Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger vorsteht, möchte eine Diskussion darüber anstoßen, wie die künftige Migrationspolitik in der EU aussehen soll. Eingeladen waren unter anderen die Außenminister aus Ungarn und Malta, Peter Szijjarto und Carmelo Abela. Auch der in Griechenland für Migrationsfragen zuständige Vize-Minister, Giorgos Koumoutsakos, ist in der Bundeshauptstadt.

Überfüllte Lager

In Griechenland - ebenso wie in Italien - zeigen sich denn auch die Probleme des Dublin-Abkommens besonders deutlich. Der neue Premier, Kyriakos Mitsotakis, hat dafür vor wenigen Tagen gegenüber dem "Handelsblatt" klare Worte gefunden: Die EU, meinte er, betrachte Ankunftsländer wie seine Heimat "als bequeme Parkplätze für Flüchtlinge und Migranten". Er werde das "nicht länger hinnehmen".

In der Tat fühlen sich etliche EU-Mitglieder nicht dafür zuständig, Asylwerber aufzunehmen. Ost- und südosteuropäische Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn lehnen dies offen ab, andere sprechen es lediglich nicht laut aus. So bleibt ein Großteil der Flüchtlinge, die es über das Mittelmeer nach Europa schaffen, in Griechenland, wo in den überfüllten Lagern auf den Inseln kein Platz mehr ist. Allein in Moria auf Lesbos waren zuletzt mehr als 14.000 Menschen zusammengepfercht. Vorgesehen ist die Einrichtung für nicht einmal 3000 Flüchtlinge.

Rund 60.000 Migranten sind seit dem Sommer in Griechenland angekommen. Das ist zwar von den Zahlen des Jahres 2015 weit entfernt, dennoch bringt es die Regierung in Athen unter Druck.

Daher kündigte das Kabinett schon an, die drei größten Flüchtlingslager auf Lesbos, Samos und Chios zu schließen, stattdessen will es "Abflug- und Identifikationszentren" schaffen. Das erinnert ein wenig an den Vorstoß von Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, der Aufnahmestellen in "Ausreisezentren" umbenannte. Ehe die entsprechenden Schilder wieder abmontiert wurden.

In den geplanten griechischen Zentren sollen jedenfalls all jene untergebracht werden, die keine Chancen auf Asyl in der EU haben und möglich rasch in ihre Herkunftsländer transportiert werden sollen. Diese Einrichtungen sollen geschlossen sein, um eine Weiterreise der Menschen in Europa zu verhindern. Umgekehrt werden Flüchtlinge, die Aussicht auf einen positiven Asylbescheid haben, aufs Festland gebracht.

Jedoch könnte Athen bei dem Vorhaben die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Der Bürgermeister der Urlaubsinsel Samos hat sich bereits zu Wort gemeldet und sich strikt gegen das Abschiebelager auf seiner Insel ausgesprochen. "Es kann nicht sein, dass wir hier eine ganze Stadt mit Migranten haben", befand Georgios Stantzos gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Überforderte Behörden

Allerdings hat Griechenland sowohl mit den Rückführungen als auch mit der Bearbeitung der Asylansuchen enorme Schwierigkeiten. Zwar seien die Kapazitäten der dortigen Behörden - wie jener in Italien - erhöht worden, doch sei die Durchführung der Asylverfahren weiterhin von langen Bearbeitungszeiten und Engpässen geprägt, stellt ein aktueller Bericht des Europäischen Rechnungshofs fest. So werde in Griechenland das zur Prüfung der Anträge eingeführte Schnellverfahren an der Grenze nicht rasch genug abgewickelt: Statt weniger Tage dauerte es im Vorjahr im Durchschnitt 215 Tage. Und bei einem regulären Verfahren könnten zwei, drei oder gar vier Jahre verstreichen, bevor es zu einer persönlichen Anhörung eines Asylwerbers kommt.

Die EU-Prüfer weisen außerdem darauf hin, dass die Zahl der Rückführungen sowie jene der Umsiedlungen gering sei. Für das Umsiedlungsprogramm hätten etliche EU-Staaten etwas mehr als 98.000 Plätze bereit gestellt. Gefunden hätten sich dafür allerdings an die 22.000 Migranten in Griechenland und knapp 13.000 Menschen in Italien. Als Grund für die niedrige Zahl potenziell anspruchsberechtigter Flüchtlinge sieht der Rechnungshof den Umstand an, dass die Behörden beider Länder anfangs nicht in der Lage waren, "alle für die Regelung in Betracht kommenden Personen zu ermitteln und erfolgreich dazu zu bringen, sich für eine Umsiedlung zu bewerben".

Politik zur Einwanderung

Für die schleppenden Rückführungen wiederum sind nicht zuletzt die langwierigen Asylverfahren verantwortlich, ebenso wie Hürden bei der Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Auf bessere Kooperation, um die "Diskrepanzen zwischen Zielen und Ergebnissen" zu verringern, pochen daher nicht nur die EU-Prüfer. Auch in den Empfehlungen des ICMPD, vorbereitet für die Wiener Konferenz, finden sich entsprechende Ratschläge.

So betont die Denkfabrik die Notwendigkeit, mit den Herkunftsländern zusammenzuarbeiten - nicht zuletzt bei Reintegrationsmaßnahmen für Rückkehrer. Auf der anderen Seite empfiehlt sie den EU-Ländern die Schaffung einer europäischen Strategie zur legalen Arbeitsmigration. Dass eine solche Einwanderungspolitik wichtig wäre, streichen Experten immer wieder hervor. Doch bisher ist das am mangelnden Willen der meisten Mitgliedstaaten gescheitert. Diese wollen den Zugang zu ihren Arbeitsmärkten nämlich selbst regeln.(czar/schmoe)