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Die EU muss geopolitikfähig werden

Von Stefan Haböck

Gastkommentare

Während selbstbewusste Mächte ihre Interessen klar formulieren und auch aktiv umsetzen, verheddert sich Europa zu oft in Klein-Klein.


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Die Ereignisse der vergangenen Wochen zeigen, dass die EU auf der weltpolitischen Bühne stärker werden muss. Der reine Wunsch, Gutes zu tun, wird von globalen Playern ausgenutzt. Europa muss lernen, eigene Interessen aktiv zu formulieren. In Moskau, Ankara und am Westbalkan zeigte sich zuletzt, dass der geopolitische Auftritt des vereinten Europas geschärft werden muss.

Bei seinem jüngsten Besuch in Moskau Anfang Februar wollte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ein Zeichen des guten Willens setzen - und wurde vom wohl gewieftesten und erfahrensten Politiker der internationalen Diplomatie, dem russischen Außenminister Sergei Lawrow, auf offener Bühne vorgeführt.

In Ankara wiederum demonstrierte diese Woche der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, was er von Frauen in Präsidentenämtern hält: nicht viel. Die Desavouierung des hochrangigen weiblichen Gastes Ursula von der Leyen war ein gezielter Affront.

Schauplatzwechsel zum Westbalkan: Die EU ist in der Region der mit Abstand wichtigste und größte Partner und Investor. Sie stellt den Staaten in der Region Geld zur Verfügung, hat medizinisches Gerät geschickt, Ärzte und medizinisches Personal bezahlt. Doch während die EU-Spitzen in Brüssel, an Verträgen festhaltend, Millionen Impfdosen nach Kanada und Mexiko ausführen ließen, schickten die globalen Player Russland und China ihre Vakzine nach Südosteuropa.

Diese drei Beispiele zeigen: Die EU agiert getrieben von dem Wunsch, Gutes zu tun. So einfach funktioniert es bloß - leider - nicht immer.

Drängende Herausforderungen

Es beginnt damit, dass man globalen Playern, die selber aus einem Verständnis der Stärke heraus agieren, ebenfalls mit starker Position begegnen muss. Nur das schafft den nötigen Respekt. Und wenn europäischer Impfstoff nach Kanada geliefert wird, aber chinesischer in europäische Staaten am Westbalkan, dann hat Europa ein Problem.

Das vereinte Europa steht vor drängenden Herausforderungen: Migration, instabile politische Situationen an den Grenzen, notwendige Erholung der Wirtschaft nach der Pandemie, Digitalisierung oder auch Neuordnung internationaler Handelsströme. Während jedoch selbstbewusste Mächte ihre Interessen nicht nur klar formulieren, sondern sie auch aktiv umsetzen, verheddert sich Europa zu oft in Klein-Klein. Seien es Zuständigkeitskämpfe (wie bei der Konferenz zur Zukunft Europas) oder die (bei 27 Staaten bestehende) Diskrepanz zwischen gemeinsamen europäischen und individuellen nationalen Interessen. Dazu zählt die Blockade des Beitrittsprozesses am Westbalkan genauso wie das Thema Energie, das geostrategisches Konfliktpotenzial in sich trägt.

Baustellen im Reifungsprozess

Die Frage, welcher "EU-Präsident" auf dem Stuhl sitzen darf, mag amüsant klingen, legt aber schonungslos Baustellen im Reifungsprozess der EU hin zum geopolitischen Player offen. Situationen wie der Brexit und die Ära Donald Trumps haben Europa zwar etwas näher zusammengeführt, aber schon beim Thema Migration ist die Union wieder komplett gespalten. Ein leichtes Spiel für Kräfte, denen eine starke und aktiv agierende EU ein Dorn im Auge ist.

Allen Beteiligten muss klar sein, dass es kein politisches Vakuum gibt. Wo immer sich Europa zurückzieht, stoßen andere Kräfte vor. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Wer der Überzeugung ist, dass ein demokratischer und marktwirtschaftlicher Zugang besser ist, muss die Strukturen und Zuständigkeiten in der EU auch dahingehend stärken, dass diese auch in diesem Sinne global agieren kann.