Die bosnische Aktivistin Larisa Šuša übt anlässlich der Westbalkan-Konferenz heftige Kritik an EU-Größen und Politikern ihrer Region.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Ihr müsst uns nur zuhören, und wir sagen Euch dann, was Ihr tun müsst." Vor versammelter Polit-Prominenz - darunter EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn, Serbiens Premier Aleksandar Vučić und der albanische Regierungschef Edi Rama auf dem Podium - platzte Larisa Šuša am Mittwochabend der Kragen. Die bosnische Polit-Aktivistin spart auch im Interview mit der "Wiener Zeitung" nicht mit Kritik.
"Wiener Zeitung":Anknüpfend an Ihr Statement: Was müssen die Politiker tun?Larisa Šuša: Der beste Weg wäre, wenn sie schlicht und einfach zurücktreten würden - und ich spreche nicht nur von den bosnischen Politikern, sondern jenen in allen Westbalkan-Ländern. Es ist eine Generation am Ruder, die inhaltlich erschöpft ist und nur an ihre eigenen Interessen denkt. Wer dagegen aufbegehrt, muss mit Schwierigkeiten rechnen: Ich zum Beispiel habe zwei Drohbriefe erhalten, die auf die lokale Regierung zurückzuführen sind.
Wie setzen Sie sich zur Wehr?
Wir bauen eine Zivilgesellschaft auf, die Aktivisten vernetzen sich und artikulieren sich sowohl online als auch in Plena. Bosnien-Herzegowina ist heute keine freie Demokratie. Wir wollen weg von der Korruption und vom Nationalismus, nach dem die Bosnier über ihre Ethnie definiert werden. Deswegen kämpfen wir auch für die Aufnahme des Wortes "Bürger" in die Verfassung - ohne Bezug zu Bosniaken, Serben oder Kroaten.
Als die Proteste 2014 aufflammten, bildeten sich die Bürgerplena. Sie selbst sind Co-Gründerin des Plenums in Gračanica. Wie viele Personen sind dort heute aktiv?
Wir starteten im vergangenen Jahr mit rund 100 Leuten. Auch wenn die Großproteste abebbten, sind wir weiter aktiv, treffen uns jede Woche. In den Dörfern der Region haben wir mittlerweile mehr als 1000 Unterstützer.
Anlässlich des Jahrestags des Protestbeginns demonstrierten in Sarajevo nur 200 Personen. Sind Sie darüber nicht enttäuscht?
In Tuzla (in der ehemaligen Industriestadt starteten die Proteste, Anm.) waren es 500 Demonstranten. Abgesehen davon erhält man Aktivismus nicht auf Knopfdruck. In Kleinstädten gibt es einige Aktivitäten. Wir setzen dabei auf Bildungsprogramme, lehren die Bürger, sich gegen die Staatsmacht zu wehren.
Bei den Wahlen im Oktober 2014 setzten sich aber wieder die alten, nach ethnischen Kriterien organisierten Parteien durch.
Der Urnengang war durch und durch korrupt. Ich habe den Wahlgang beobachtet und Informationen an die zentrale Wahlbehörde weitergeleitet, samt Bildern, die Stimmenraub beweisen. Es hat die Behörde nicht gekümmert, ebenso wenig wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE.
Wie können Sie reüssieren, wenn die Jungen, von denen mehr als 50 Prozent ohne Jobs sind, um Ihre Existenz kämpfen?
Wir versuchen den Bürgern auch beizubringen, wie sie selbst Produkte herstellen können. Schritt für Schritt sollen sie von der Regierung selbständig agieren, dieser zeigen, dass sie nicht gebraucht wird.
Was erwarten Sie sich von der Europäischen Union?
Nichts. Die Aussage von Kommissar Hahn am Mittwoch, er habe das Gefühl, die EU werde lediglich als eine Bank gesehen, die Geld auszahlt, war erniedrigend. Die Union soll uns in Ruhe lassen. Sie hat ihre eigenen Probleme, wie in Italien und Spanien. Kein einziger Bürger Bosnien-Herzegowinas hat die Reformagenda der EU für das Land zu Gesicht bekommen. Alles wird im Geheimen mit unserer Regierung gemacht - die so korrupt ist.
Die EU schützt also Ihrer Meinung nach die korrupte Regierung?
Ja, natürlich. Daher meine Forderung an Europa: Trefft keine Entscheidung ohne uns Bürger.