Romano Prodi hat in der "Wiener Zeitung" darauf hingewiesen, dass die EU im Fall des Nichtzusammenhaltens von der Weltkarte verschwinden würde. Diesem Befund ist zuzustimmen. Doch es bleibt zu fragen, wie es dazu kommen konnte, dass die EU in einem Prozess der Selbstmarginalisierung verweilt.
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Eine Antwort darauf kann nicht gefunden werden, indem in kurzsichtigen Reflexen Schuldzuweisungen von der nationalen Ebene gegenüber der europäischen erfolgen. Was die Organe der EU auf supranationaler Ebene entscheiden, wer dort handelt und welche Gestaltungsmöglichkeiten die EU im globalen Kontext hat, ergibt sich nicht aus willkürlichen Entscheidungen von "Brüssel". Im Gegenteil: Es ist dies die Summe dessen, was die Mitgliedstaaten der EU entscheiden und zulassen.
Um als globaler Akteur über Gestaltungsmacht zu verfügen, die geeignet ist, den komplexen Herausforderungen dieser Welt zu begegnen, muss die EU mehr sein als eine Weltmacht im Bereich der Handelspolitik und führend bei der Entwicklungspolitik. Sie muss auch in den Bereichen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein wesentlich klareres Profil entwickeln. Doch genau hier sind die Mitgliedstaaten der EU nicht bereit, mehr Gemeinsamkeit zu schaffen.
Es gelingt ihnen, Strategiepapiere zur globalen Rolle der EU und damit verbunden hehre Zielkataloge zu vereinbaren. Auch verwenden sie viel Zeit darauf, über die letzte Verästelung neuer Institutionen zu verhandeln. Dies alles ist richtig und wichtig, doch nicht ausreichend. Der Erwartungsdruck an die EU als globaler Akteur erhöht sich, aber gleichzeitig wird sie nicht mit den nötigen Instrumenten und Kompetenzen ausgestattet.
Eine politische Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses verlangt von den EU-Mitgliedstaaten keineswegs die Aufgabe ihrer Souveränität. Vielmehr müssen sie sich damit auseinandersetzen, wie sie durch gemeinsame Politiken und gemeinsames Handeln letztendlich ihre eigene Rolle und Sicherheit fördern können. Manche Mitgliedstaaten mögen hierzu bereit sein, andere nicht. Folglich wird ein differenziertes Europa entstehen. Noch ist kein Staat ausgeschlossen, hingegen können sich Staaten durch ihr Nichthandeln selbst ins Abseits manövrieren.
Die Mitgliedstaaten der EU können sich Befindlichkeitsdebatten und nationale Eitelkeiten angesichts der Entwicklung ihres globalen Umfelds nicht leisten. Die USA, Russland, China und weitere aufstrebende globale Akteure sind längst dabei, die Konturen der Weltordnung des 21. Jahrhunderts festzulegen. Wollen europäische Staaten hierbei nicht Getriebene sein, sondern mitgestaltende Akteure, dann sollten sie Warnungen wie jene von Prodi ernst nehmen.
Franco Algieri ist Forschungsdirektor am Austria Institut für
Europa- und Sicherheitspolitik.