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Am belebten Kreisverkehr im Zentrum versuchen täglich diverse Gruppen, auf den EM-Zug aufspringen zu können.
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Es gibt romantischere Plätze in Warschau als den großen Kreisverkehr bei der Metrostation Centrum. Für Fußgänger ist er nicht zu bezwingen, die einzige Chance, auf die andere Seite zu kommen, ist die Unterwerfung. Und das ist wahrlich kein Vergnügen. Einmal in der sehr niedrigen Unterführung, ist es kein Leichtes, wieder aus ihr herauszufinden. Es gibt zwar dreizehn Aufgänge, doch da man unter Tage die Orientierung schnell verliert, ist es ein reines Glücksspiel, den richtigen Ausgang zu finden.

In der stark frequentierten Unterführung finden sich Dutzende Miniaturen an Geschäften, die Wände hat EM-Sponsor Coca-Cola thematisch gestaltet, und David Beckham wirbt großflächig für seine Unterwäsche beziehungsweise für sich selbst. Fußballerisch hat er bekanntlich den Sprung zur Euro nicht geschafft. Die Werbungen und Schilder der Geschäfte machen es den Passanten auch nicht einfacher, herauszufinden, aber irgendwann erwischt man schon den richtigen Aufgang.
Einer führt zum Eingang der U-Bahn-Station Centrum, die gleich bei der Fanzone liegt. Es ist nur ein kleiner Platz, aber jeden Tag wird er zum Marktplatz der Weltanschauungen. Und natürlich ist die Euro das Transportmittel der diversen Anliegen. "Is there anything more important than football?", wird auf einem Flugzettel gefragt. Die Antwort: "You, yes, You!". Es handelt sich um einen Flugzettel der missionarischen Gruppierung "Juden für Jesus", gleich daneben wirbt eine andere religiöse Gruppierung um Kundschaft, "Jesus in action" steht auf ihren T-Shirts.
Zwischendurch tönen grauenvolle Geräusche über den Platz. Ein paar Demonstranten haben sich hier eingefunden, um gegen die Tötung von Straßenhunden zu protestieren. Schweigend stehen sie neben dem mitgebrachten Kassettenrekorder, aus dem die Geräusche dröhnen. Es seien die Schreie der Hunde, während sie getötet werden, klärt mich eine der Demonstrantinnen auf. Könnte freilich auch die Aufnahme eines defekten Staubsaugers sein.
Wer an dieser Stelle länger verweilt, kann sich hier Bücher voller Flugzettel mitnehmen oder sich auch die neuesten Services eines Mobilfunkanbieters und EM-Sponsors erklären lassen. Auch politische Beratungen werden angeboten. Jetzt, da die Euro alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, würde man gegen Gewerkschaften vorgehen, erklärt mir ein älterer Herr einer trotzkistischen Gruppierung. Auf die Frage, wie er zu Euro stehe, erhalte ich eine Ausführung über Finanzpolitik, die zum Schluss kommt, dass das Proletariat nun für die Krise zahlen müsse. "Ich meinte die Euro 2012", präzisiere ich. Man hätte das Geld anderweitig verwenden können, sagt der leidenschaftliche Linke.
Die Euro dient freilich auch den Firmen als Vehikel, ihre Produkte zu bewerben. Fast bei jedem Plakat in der Stadt ist der Fußball Thema, ehemalige Idole wie Zbigniew Boniek (Bier), Jerzy Dudek (Motoröl), aber auch die aktuellen Stars sind großflächig in Warschau affichiert. Bei der Euro 2008 hatte es Roland Linz dann doch nicht ins Stadtbild geschafft. Dass aber selbst eine Handcreme mit dem zarten Hinweis eines Stöckelschuhs auf einem Fußball beworben wird, ist dann aber doch skurril.
In gewisser Weise haben auch die Hooligans am Dienstag die Euro dazu verwendet, ihre Anliegen vorzubringen. Sie haben ihren Hass auf Russland kundgetan, zuerst mit Worten, dann mit Fäusten. Wäre es irgendein Spiel gegen Russland gewesen, nicht die Euro, wären Szenen wie am Dienstagabend wohl ausgeblieben.