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Die Euro-Krise war ein Geschenk

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
Zsolt Darvas von der Denkfabrik Bruegel. Foto: bruegel

Experte: Weckruf kam noch rechtzeitig. | Ungelöstes Problem der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit. | Brüssel/Wien. Vielleicht sollte Brüssel öfter Urlaubspausen einschieben: Während der Sommermonate ist die Euro-Krise mit all ihrem Begleitgetöse rund um den Kursabsturz, mögliche Staatspleiten und die Bankenkrise überraschend flott aus den Schlagzeilen verschwunden. Wie das?


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"Die Krise war äußerst vorteilhaft", sagt Zsolt Darvas von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Sie kam zum richtigen Zeitpunkt, weil nur Griechenland in Schwierigkeiten geraten war - und noch kein größeres Land wie Italien oder Spanien. Das war ein Weckruf für die europäischen Politiker."

Darvas hält zwar weiterhin für denkbar, dass Griechenland in einigen Jahren eine Staatspleite hinlegt und seine Schulden restrukturieren muss. Die für die Währungsunion bedrohliche Frage sei freilich gewesen, ob diese Probleme zu einem Dominoeffekt führen und über den Umweg des Bankensystems auf andere Länder übergreifen.

"Basel III" allein zu wenig

Nicht zuletzt hätten die viel gescholtenen Banken-Stresstests geholfen, Europa aus den Schlagzeilen zu bringen: "Das ist besser als nichts. Die Tests haben gezeigt, dass die Bankenlandschaft doch nicht in so einem schlechtem Zustand ist." Abseits davon sieht der Ökonom den Finanzsektor aber skeptisch. Die Reformanstrengungen beschränkten sich zu sehr auf neue Eigenkapitalregeln (Basel III). "Dabei lauern bei den grenzüberschreitenden Banken noch viele ungelöste Probleme. Hier passiert zu wenig."

Die von der EU geplante neue, zentrale Aufsichtsstruktur sei dafür nicht ausreichend: Sie könne womöglich mithelfen, künftige Krisen zu verhindern, ändere aber nichts daran, dass ungeklärt bleibt, wie die Kosten für Bankenrettungen unter mehreren Ländern aufgeteilt werden, wenn sich Zentrale, Eigentümer und Geschäftstätigkeit auf mehrere Staaten verteilen.

Auch die Kostenbeteiligung des Finanzsektors sollte EU-weit gelöst werden: "Ich bin sehr dafür, Banken stärker zu besteuern - dafür gibt es gute Gründe. Aber ich befürworte eine europäische Lösung", so Darvas.

Ungarns extrem hohe Bankenabgabe etwa sei ein Schuss, der nach hinten losgehen könnte, befürchtet Darvas - gebürtiger Ungar und langjähriger Mitarbeiter der ungarischen Nationalbank. Die Banken, die mehrheitlich in ausländischem (großteils österreichischen) Besitz seien, würden sich genau überlegen, wohin sie ihren Investmentfokus verlagern - was das Wachstum drücken könnte: "Trotz der Einnahmen glaube ich nicht, dass Ungarn von der Bankenabgabe profitieren wird."

Ob die Steuern oder Abgaben ins Budget fließen (wie in Österreich geplant) oder Banken-Rettungsfonds dotieren (wie in Deutschland), sei sekundär - es laufe letztlich auf dasselbe hinaus.

Ein Wachstumsproblem

Die Sparbemühungen Griechenlands und vieler anderer Länder sieht Darvas positiv. Den Reformprozess der EU selbst bewertet er kritisch. Schärfere Sanktionen für Budgetsünder zielten am Kernproblem vorbei: "Länder wie Spanien oder Irland hatten vor der Krise gar kein großes Schuldenproblem - und wurden dennoch massiv in Mitleidenschaft gezogen."

Europas Kernproblem sei vielmehr das Auseinanderklaffen der Wettbewerbsfähigkeit. Das Wachstum von Ländern wie Portugal und Italien sei schon vor der Krise extrem schwach gewesen - große strukturelle Reformen etwa der Arbeitsmärkte seien ausständig.

Die "Taskforce" von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wolle sich zwar dem Thema widmen, aber: "Probleme aufzeigen ist eine Sache, sie lösen eine andere." Der EU mangle es an Möglichkeiten, in nationale Belange einzugreifen.

Dass es möglich sei, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, habe indes Deutschland in den 15 Jahren nach der deutschen Einheit vorgemacht.