US-Präsident Trump hat nicht viel für die Nato übrig. Kann eine eigene EU-Verteidigung das Militärbündnis ersetzen?
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Washington/Brüssel. Welchen Stellenwert hat die Nato für US-Präsident Donald Trump? Für Generalleutnant Wolfgang Wosolsobe, bis 2016 Generaldirektor des Militärstabs der Europäischen Union, ist der Fall klar: "Das westliche Verteidigungsbündnis ist in Trumps Denken eine vernachlässigbare Größe", sagt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Trump sieht die Nato nicht als wesentlichen Bestandteil der US-Außenpolitik." Bevor der US-Präsident auf die Nato zurückgreife, "würde er noch eher eine Ad-hoc-Koalition mit jenen Ländern eingehen, die bereitstellbare Mittel haben und von denen klar ist, dass sie weiter an einer Zusammenarbeit mit den USA stark interessiert sind", so Wosolsobe.
Schlechte Zeiten also für das Bündnis, das zu Zeiten des Kalten Krieges Garant für Freiheit und Demokratie in der westlichen Hemisphäre war. Stand "Uncle Sam" stets als wichtigster Partner Gewehr bei Fuß, ist jetzt das Gegenteil eingetreten. Trump hat die Europäer das Fürchten gelehrt, das Vertrauen in die USA ist weg, man fühlt sich in der EU von Washington wie ein säumiger Schuldner, oder, schlimmer noch, wie ein Gegner behandelt, während Trump Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin offenbar positiv gegenübersteht.
"Die Europäer haben Angst, und sie sind deshalb auch immer nachgiebig gegenüber Trump, wenn er die Nato-Karte ausspielt", sagt der österreichische Politologe und USA-Experte Heinz Gärtner. Er verweist darauf, dass sich die USA bereits vor dem Rückzug Trumps von Europa abgewandt haben. "Schon Präsident Barack Obama hat angekündigt, dass sich die USA mehr und mehr auf Asien konzentrieren wollen", sagt Gärtner. "Den Europäern wurde auch signalisiert: Um die Ukraine müsst ihr euch selber kümmern." In der Tat spielt Europa bei den Rüstungsausgaben der USA nur eine marginale Rolle: "Nur fünf bis maximal 20 Prozent der Militärausgaben der USA werden für die Verteidigung Europas aufgewendet - und da ist das teure Raketenabwehrsystem der USA in Osteuropa schon inbegriffen", weiß der Experte. "Die USA blicken in erster Linie auf China. Bei Trump spielt noch ein starker Isolationismus mit, der in der Außenpolitik der USA aber auch eine lange Tradition hat. Man will sich nicht in zu viele Bündnisverpflichtungen verwickeln", analysiert Gärtner. Er verweist auch darauf, dass die Nato von den USA sehr widerwillig mitgegründet wurde. "Man hat damals gesagt, wir wollen nicht wieder in einen Krieg in Europa hineingezogen werden. Erst als ein Putsch in Prag die Kommunisten an die Macht brachte, haben die USA den Nato-Beistandsverpflichtungen zugestimmt."
Eigene EU-Verteidigung steckt noch in Kinderschuhen
Europa muss seine Geschicke also selbst in die Hand nehmen, das haben Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mehr als einmal klar gemacht. Pläne für eine europäische Sicherheitsarchitektur gibt es, erst zuletzt hat man eine verstärkte Kooperation bei der Anschaffung neuer Waffensysteme und der militärischen Ausbildung beschlossen. General Wosolsobe macht aber klar, dass eine eigenständige EU-Verteidigung erst in den Kinderschuhen steckt. Die Grundlagen seien geschaffen: "Die EU kann ihre Außenpolitik mit zwingenden Maßnahmen ausstatten." Nächste Stufe könnte sein, "dasselbe mit höherer Intensität und höherem Umfang zu tun. Wenn wir wirklich machen wollen, was wir uns vorgenommen haben, dann ist das sehr viel", so der Österreicher. Nächste Phase sei, dass die EU "einen sehr großen Kern innerhalb der Nato" bilde. Hier sei denkbar, dass die EU "Nicht-Nato-Aufgaben" übernehme, etwa Krisenmanagement.
Eine gemeinsame Verteidigungspolitik der EU-Staaten und -Armeen findet in der Praxis aber rasch auch ihre Grenzen. "Eine gemeinsame europäische Armee wird es sicher nicht geben", glaubt Gärtner. Ein solches Projekt werde schon an der Frage, wer das Kommando hat, scheitern. Gemeinsames Krisenmanagement sei also das, was im Optimalfall möglich sei.
Potenzielle militärische Großmacht Deutschland
Und was, wenn die Amerikaner wirklich aussteigen, wie von Trump mehrfach angedroht? "Dann stellen sich viele Fragen", sagt Wosolsobe. "Was geschieht dann mit der Nato? Werden deren Aufgaben dann automatisch von der EU übernommen? Das hieße, die EU muss jene Kapazitäten bereitzustellen in der Lage sein, die für die Verteidigung des Nato-Vertragsgebietes nötig sind. Das müsste aber eine gewaltige Bedrohungssituation sein, und eine solche ist derzeit überhaupt nicht absehbar", schränkt Wosolsobe ein.
Für den Offizier ist jedenfalls denkbar, dass Washington den Nato-Partnern zuletzt das Messer an die Brust gesetzt hat - und zwar buchstäblich. Es sei möglich, dass es damit gedroht habe, dass "die Nato denen nicht mehr helfen würde, die nicht ausreichend zahlen. Es ist möglich, dass die Amerikaner so etwas in Einzelgesprächen gesagt haben. Das schließe ich nicht aus, kann es aber nicht beweisen, weil diese Staaten das logischerweise nie sagen würden", meint Wosolsobe.
Ist ein europäisches Sicherheitssystem aber überhaupt realistisch? Nach dem Ende des Kalten Krieges gab es mancherorts Versuche, die Nato-Struktur durch ein Sicherheitssystem zu ersetzen, das auch Russland einschließen sollte. Die gesamteuropäischen Träume wichen aber rasch der Realität: Jene ostmitteleuropäischen Staaten, die eben erst dem Sowjetjoch entronnen waren, suchten Schutz vor Russland und drängten unter den Nato-Schirm. Sie setzen bis heute vor allem auf die Präsenz Amerikas, auch deshalb, weil es beispielsweise in Polen Vorbehalte gegenüber einem zu starken Deutschland gibt. Ein Deutschland, das massiv an militärischer Potenz gewinnen würde, wenn es - wie von Trump gewollt - zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Rüstung ausgibt. "Es hätte dann gleich hohe Rüstungsausgaben wie Russland", rückt Gärtner die Proportionen zurecht.
Die Rüstungsausgaben des Riesenreiches würden nur acht Prozent von denen der Nato-Staaten betragen - zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ganz ohne erhöhte Aufwendungen fürs Militär. "Was die konventionellen Waffen betrifft, ist Russland keine Bedrohung", schlussfolgert Gärtner.
Wäre ein kompletter europäischer Alleingang im Bereich Verteidigung - ohne Nato - sinnvoll? Der US-Politologe und Nato-Experte an der Universität St. Gallen, James Davis, glaubt das nicht. Ja, er hält einen solchen Schritt sogar für "gefährlich für die USA und für Europa", wie er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" betont. Er ist aber sehr wohl dafür, dass die europäische Identität im Militärbereich gestärkt wird - dann könne man auch besser gegenüber Trump auftreten. Und der spektakulär-verstörende Auftritt Trumps beim Nato-Gipfel im Juli habe den Willen zu mehr europäischer Kooperation sicherlich befeuert.
"Trump betreibt eine Strategie des Teilens und Herrschens"
Denn der US-Präsident, so Davis, betreibe eine Strategie des Teilens und Herrschens: "Er weiß, dass er mit einzelnen Ländern mehr erreichen kann, als wenn er es mit Europa als Ganzem zu tun bekommt. Wenn die Europäer in der Allianz geschlossener auftreten, haben sie bessere Karten." Eine stärkere europäische militärische Identität sei auch deshalb wichtig, weil die Amerikaner nicht alle Fragen im gleichen Maße interessieren würden: "Man denke an Migration aus Nordafrika", so Davis. "Da werden sich die Amerikaner nicht stark engagieren. Die Europäer interessieren sich dafür nicht für die Migranten, die aus Südamerika kommen."
Es gebe also sicherheitspolitische Fragen, für die die Europäer eine stärkere europäische Antwort brauchten, auch jenseits der Nato, meint Davis. Für ihn ist es in jedem Fall sinnvoll, wenn die Europäer enger zusammenarbeiten - "egal, welche Politik die Amerikaner verfolgen". Denn: "Die Schlagkraft, die man für die ausgegebenen Euros erhält, könnte massiv erhöht werden, wenn man sich besser koordiniert." Skeptisch ist Davis dann, wenn es um die Errichtung neuer Hauptquartiere und neuer Bürokratien geht. "Wir brauchen keine neuen Gebäude und Stäbe, sondern den politischen Willen."