Europa schickt Polizeiausbildner. | USA tragen Hauptlast der Kämpfe. | Straßburg/Wien. Das Diner im Kurhaus von Baden-Baden, das am Freitagabend den eigentlichen Startschuss für den Nato-Gipfel bildete, konnten sich die europäischen Nato-Mitglieder in entspannterer Atomsphäre schmecken lassen, als erwartet worden war. Denn schon zuvor war klar geworden, dass sie keine neuen Forderungen der USA zur Aufstockung ihrer Truppenkontingente in Afghanistan zu erwarten haben würden.
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"Der Nato-Gipfel ist keine Zusagenkonferenz", hatte US-Außenministerin Hillary Clinton erklärt, noch ehe Präsident Barack Obama und seine Ehefrau Michelle von seinem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy und dessen Frau Carla Bruni am Vormittag in Straßburg empfangen wurden. In US-Diplomatenkreisen hieß es, dass freiwillige zusätzliche Beiträge der Europäer für den zivilen Wiederaufbau erwartet würden.
Dazu gehört vor allem die Ausbildung von örtlichen Polizeikräften. Sarkozy erklärte, eine europäische Militärpolizei könnte eine zentrale Rolle bei der Polizeiausbildung in Afghanistan übernehmen. Auch Deutschland, das gemeinsam mit Frankreich den Gipfel ausrichtet, und andere Nato-Länder wollen Ausbildner schicken. Darüber hinaus sollen die Strukturen von Justiz und Verwaltung in ländlichen Gebieten gestärkt werden. Und selbstverständlich soll auch mit Infrastrukturmaßnahmen wie dem Bau von Brücken und Straßen geholfen werden.
USA auf EU-Linie
Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana meint, dass damit die USA auf die Linie der Europäer eingeschwenkt sind. "Die Europäer haben immer gesagt, dass wir eine umfassende Strategie für Afghanistan brauchen - militärisch, politisch und wirtschaftlich. Wir haben auch gesagt, dass wir andere Länder in der Region beteiligen müssen", sagte der EU-Chefdiplomat.
Darüber hinaus ist Obama nun offenbar bereit, die Hauptlast der Kampfhandlungen zu tragen. Seine neue Afghanistan-Strategie sieht vor, noch in diesem Jahr 21.000 zusätzliche Soldaten, davon 4000 Militärausbildner, an den Hindukusch zu schicken. Im nächsten Jahr dürften es noch mehr werden, und dann wollen die Amerikaner auch das Kommando im Süden übernehmen, wo die heftigsten Kämpfe mit den Taliban toben.
Zur Zeit haben dort die Niederlande das Oberkommando der Nato-geführten Isaf-Truppe, die sich mit Kanadiern und Briten abwechseln. Erst am Freitag wurde bei einem Feuergefecht mit Extremisten ein rumänischer Offizier getötet. Da die USA auch das Kommando im Osten des Landes an der Grenze zu Pakistan behalten, bleiben den europäischen Verbündeten vor allem die weniger umkämpften Gebiete im Westen und Norden Pakistans.
Diese neue Strategie wird von Sarkozy und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt und, wie Sarkozy erklärte, "vollständig unterstützt". Die Truppenaufstockungen der Europäer bleiben dementsprechend bescheiden. Belgien kündigte vor dem Gipfel an, sein Kontingent von 500 auf 565 Soldaten und von vier auf sechs Kampfflugzeuge zu erhöhen. Spanien versprach "eine geringe Zahl" von zusätzlichen Militärausbildnern.
Obama sprach sich generell für vermehrte militärische Anstrengungen und für den Ausbau der militärischen Kapazitäten der europäischen Nato-Partner aus. "Wir wollen starke Verbündete", sagte er.
Gespalten zu Russland
In Straßburg, dessen Kongresszentrum der eigentlichen Ort der Tagung ist, sprach auch Obama auch das Verhältnis zu Russland an, bei dem er ein großes Potenzial zur Verbesserung ortet. "In manchen Fällen haben wir gemeinsame Interessen, aber wir haben auch einige Meinungsunterschiede in Schlüsselfragen", schränkte er allerdings ein.
Obama zählt zu den gemeinsamen Interessen die Haltung gegenüber dem Iran. Russland solle helfen, Teheran an der Produktion von Atomwaffen zu hindern. "Es sollte ein Mechanismus gefunden werden, der ihnen (den Iranern) die zivile Nutzung von Kernenergie erlaubt, aber der eine klare Linie zieht: Wir können kein atomares Wettrüsten im Nahen Osten dulden."
Das Verhältnis zu Russland ist einer der Hauptpunkte bei dem Gipfel der Nato. Nach Einschätzung ihres Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer gibt es darüber "sehr abweichende Ansichten", wie er in einem Beitrag für die russische Zeitung "Nesawisimaja Gaseta" schrieb. Während sich Merkel ein positives Signal an Moskau erwartet, sind die Osteuropäer skeptisch.
Rücktritt Rasmussens?
Ein weiterer Diskussionspunkt auf dem Gipfel, der das 60-jährige Bestehen der Organisation feiert, war die Besetzung des neuen Generalsekretärs. Angela Merkel erwartete, dass man sich auf den dänischen Kandidaten Anders Fogh Rasmussen einigen werde. Die Türkei hatte zuvor allerdings ihre Ablehnung von Rasmussen bekräftigt. Eine Vertagung der Entscheidung schien möglich. Dessen ungeachtet schien es am Freitag, als wolle Rasmussen auf jeden Fall als dänischer Ministerpräsident zurücktreten. Mehrere Minister bestätigten in Kopenhagen, dass Rasmussen auch im Fall des Scheiterns seiner Kandidatur "nicht in der gewohnten Form" nach Kopenhagen zurückkehren werde.
Am Nachmittag traf Obama mit dem Hubschrauber in Baden-Baden ein, wo er von Angela Merkel auf dem Marktplatz empfangen wurde. Vor dem abendlichen Arbeitsessen konferierten die beiden noch unter vier Augen.