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Die europäische Republik und ihre Gegner

Von Christian Ortner

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Christian Ortner.

Wer einen europäischen Bundesstaat fordert, ohne zu erklären, wie dafür eine Mehrheit der Bürger zu gewinnen ist, macht es sich etwas zu leicht.


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Es ist keine besonders neue Erkenntnis, dass die Neigung von Politikern, mutige Positionen zu vertreten, üblicherweise nach dem Ende ihrer politischen Laufbahn stark zunimmt. Macht macht mutlos, Machtlosigkeit dagegen offenbar mutig, manchmal zumindest.

Deshalb überrascht auch nicht weiter, dass drei in Ehren ergraute Gentlemen nun mit einer Forderung an die Öffentlichkeit gingen, die sie in ihrer Zeit als aktive Mandatare wohl nicht einmal mit einer Pistole an der Schläfe so vertreten hätten. Ex-Nationalratspräsident Heinrich Neisser, Ex-ÖVP-Chef Josef Taus und Ex-Vizekanzler Josef Riegler fordern in einem gemeinsamen Positionspapier nicht weniger als die unverzügliche Errichtung einer europäischen Republik auf dem Gebiet der heutigen Eurozone; die völlige Übergabe der staatlichen Souveränität von den Nationalstaaten an diese Republik Europa inbegriffen.

Nun kann man einen derart radikalen Schritt höchst erstrebenswert oder höchst besorgniserregend finden, der Plan der drei bürgerlichen Silberrücken hat jedenfalls ein winziges Manko: Nach allen vorliegenden Daten der Demoskopen will eine klare Mehrheit der Europäer keine solche europäische Republik. Neisser, Taus und Riegler verschweigen uns leider, wie dieses hässliche kleine Problem ohne Putsch von oben gelöst werden könnte.

An dieser Stelle pflegen die Befürworter eines europäischen Bundesstaates meist einzuwenden, dies sei eben ein Kommunikationsproblem. Würde man "den Menschen draußen" die Vorzüge dieses Weges nur gut genug erklären, würden die ihm schließlich auch zustimmen. Doch wer den Widerstand gegen einen europäischen Superstaat als bloßes Kommunikationsproblem verniedlicht, lügt sich selbst in den Sack.

Die Mehrheit der Europäer sieht ganz offenkundig in der Übertragung der staatlichen Souveränität an eine europäische Republik keinen Vorteil. Im Norden nicht, weil man dort den Süden nicht endlos alimentieren will; im Süden nicht, weil man sich dort nicht vom Norden umerziehen lassen will - und aus hundert anderen Gründen, etwa dem nicht unwesentlichen, dass die nationale Identität auch nach einem halben Jahrhundert europäischer Integration noch viel stärker ist, als eine Republik Europa vertragen könnte.

Dazu kommt, dass sich die real existierende Europäische Union in den Augen vieler Bürger zuletzt nicht gerade dermaßen mit Ruhm bekleckert hat, dass ihre Fortentwicklung in einen Bundesstaat gleichsam historisch logisch wäre.

Deshalb gebricht es den mit später Tinte formulierten Bekenntnissen spätberufener Liebhaber einer Republik Europa etwas an sittlichem Ernst, wenn sie ihrem Appell nicht hinzufügen, wie diese geschaffen werden soll, ohne einen mittleren Volksaufstand der zwangsbeglückten Untertanen auszulösen.

Ein europäischer Bundesstaat wird politisch machbar sein, sobald die Mehrheit seiner künftigen Bürger
es als in ihrem Interesse gelegen erachtet, diesen Staat zu begründen. Ganz offenbar ist dies aber derzeit nicht der Fall. In der Wirtschaft liegt die schlechte Verkäuflichkeit eines Produktes übrigens oft nicht am Marketing, sondern am Produkt.