)
Zwischen Euphrat und Tigris kam es zum ersten Sündenfall der Menschheit.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Vollkommene Menschen in einer vollkommenen Umgebung. Keine Krankheit, kein Tod. "Paradies" heißt dieser Zustand am Anfang der Menschheitsgeschichte, wie ihn die Bibel aufzeichnet, im Garten Eden leben Adam und Eva - sie könnten es bis in alle Ewigkeit tun. Doch dann kommt der erste Sündenfall, die erste Revolution, die Abkehr vom Schöpfer.
Alles nur Mythos, gleichnishafte Erzählung, Fabuliererei nahöstlicher Tradition, schlimmstenfalls Religion - das war die Meinung der meisten Wissenschafter, und so nach und nach schlossen sich ihnen sogar die Kirchen an und verbannten das Paradies allmählich in den Bereich der reinen Metaphysik.
Juris Zarins freilich ist kein Mann für Spekulationen, die sich ausschließlich im Umfeld des Glaubens bewegen. Und doch belegt der 1945 in Deutschland geborene amerikanische Archäologe, der an der Missouri State University lehrt, ganz wissenschaftlich, was vielen reiner Glaubensinhalt war: Den Garten Eden hat es ganz real gegeben.
Die Spur des Getreidesführt nach Anatolien
Zarins erinnert da ein wenig an Heinrich Schliemann, den Troja-Entdecker. Ehe Schliemann mit der "Ilias" in der Hand auf die Suche ging, glaubte ja auch niemand, hinter Homers Epos stecke mehr als eine bloße Fiktion. Laut Zarins also ist der Garten Eden im Persischen Golf gelegen, konkret in Mesopotamien. Für eine Lokalisierung macht die Bibel im ersten Buch Mose denn auch sehr ge- naue Angaben, indem sie das Gebiet des Garten Eden durch vier Flüsse charakterisiert: "Der Name des ersten ist Pischon; es ist der, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Und das Gold jenes Landes ist gut. Dort gibt es auch das Bdelliumharz und den Onyxstein. Und der Name des zweiten Stromes ist Gihon; es ist der, der das ganze Land Kusch umfließt. Und der Name des dritten Stromes ist Hiddekel; es ist der, der östlich von Assyrien fließt. Und der vierte Strom ist der Euphrat." Der Hiddekel wird mit dem Tigris gleichgesetzt, Pischon und Hawila hingegen waren unbekannt - bis Zarins auf Satellitenbildern Hinweise auf zwei mittlerweile ausgetrocknete Flüsse entdeckte.
Andere Forscher sehen das anders - streiten aber seriöserweise ebenfalls die Existenz des Gartens Eden nicht ab. So verlegt ihn beispielsweise eine Studie des Max-Planck-Instituts an die Quellen von Euphrat und Tigris im südöstlichen Anatolien und weist nach, dass dort die Wiege des Ackerbaus stand. Die Wissenschafter verglichen das Erbgut von 68 Einkornsorten unserer Zeit und führten es auf einen gemeinsamen Urhalm zurück, der ausschließlich an den Hängen des erloschenen Vulkans Karacadag in Südostanatolien zu finden ist.
Da widerspricht freilich der britische Ägyptologe David Rohl. Er ist davon überzeugt, der Garten Eden sei eine Gegend in der Ebene Miandoab im nördlichen Iran gewesen. Im iranisch-aserbaidschanischen Grenzfluss Aras glaubt er, den biblischen Gihon identifiziert zu haben - immerhin hieß das Gewässer bis ins 7. Jahrhundert "Gyhun".
Das Paradies in den USAund auf den Seychellen
Weniger durchsetzen konnten sich die These der Mormonen, die den Garten Eden sehr patriotisch in Jackson County im US-Bundesstaat Missouri vermuten, und jene von Charles Gordon: Der britische Generalgouverneur des Sudan, der im Mahdi-Aufstand 1885 fiel und seitdem als Volksheld gilt, war überzeugt, die Seychelleninsel Praslin sei das Paradies gewesen. Dann freilich hätte Eva Adam eine Kokosnuss gereicht und keinen Apfel.
Wobei der ja ein Missverständnis ist. Nicht etwa, weil er, wie findige Forscher feststellten, in Wahrheit ein Granatapfel gewesen wäre, sondern weil er in der ganzen Bibel nicht vorkommt. Da hat bei der Übersetzung aus dem hebräischen Original das mittelalterliche Küchenlatein einen Streich gespielt. Die Rede ist nämlich von "malum", also vom "Bösen", vom "Übel". Der Haken an der Sache ist, dass "malum" eben auch "Apfel" bedeutet . . .
Und als die Schlange Eva verführte, ihn, der laut Bibel aber immer nur eine "Frucht" ist, zu essen, und Eva Adam verführte, ebenfalls zu kosten, begann das Unglück der Menschheit, denn "sie (Adam und Eva) wurden gewahr, dass sie nackt waren". Selten hat ein - ganz und gar nicht unschuldiger - Obstgenuss weitreichendere Folgen gehabt. Denn damit kam der Sex in die Welt, so wird´s gelehrt in unserer sexbesessenen Zeit.
Nur ist die wahre Geschichte grundlegend anders, wenn man die Worte der Schlange genauer liest: "Denn Gott weiß, dass an demselben Tag, an dem ihr davon esst, euch ganz bestimmt die Augen geöffnet werden, und ihr werdet ganz bestimmt sein wie Gott, erkennend Gut und Böse."
Nicht um den Sex geht es (der ist in der Erschaffung des Menschen als ein Lebewesen mit zwei Geschlechtern inkludiert), sondern um Selbstvergötzung und Recht: Wenn der Mensch Gut und Böse zu erkennen glaubt, dann schafft er sich eigene Gesetze - und das ist eine Revolution gegen den Schöpfer und Gesetzgeber.
Obstessen kanntödliche Folgen haben
Vom ersten Moment an argumentiert die Bibel also auf der Ebene von Recht und Gesetz. Jahwe oder Jehova, wie Gott sich selbst nennt, bleibt seinen Vorgaben treu: Er hatte Adam unmissverständlich gesagt, sollten die beiden Menschen von der verbotenen Frucht essen, würden sie sterben. Während Eva die Sünde unwissend begeht, vollzieht Adam die Abkehr von Gott im vollen Bewusstsein. Der Bruch dieses Gesetzes muss konsequent zum Tod von Adam und Eva führen, sonst brächte Gott sein eigenes Werk von Anfang an zum Einsturz. Damit, so lehrt die Bibel, nisten sich Sünde und Tod gleichsam in den Genen des Menschen ein und werden weitervererbt. Doch dereinst, nach der letzten Auseinandersetzung zwischen Gott und Satan, in der Satan unterliegt, so lehrt die Bibel weiter, wird der Mensch wieder im Paradies leben.
Und so ist dieses Paradies die große Wunschvorstellung des Menschen geblieben: Der Sehnsuchtsort, den aufzufinden zu können etwa Christoph Columbus fest glaubte. Und diese in manchen Fällen vielleicht unbewusste Sehnsucht nach dem Paradies ist es, die den meisten Menschen ein Glücksgefühl verschafft, wenn sie sich in unberührter (oder unberührt scheinender) Natur befinden, denn ob das Großstadtleben für den Menschen eine quasi artgerechte Haltung darstellt, darf ohnedies angezweifelt werden.
So bleibt von Adams Revolution vorerst also nur die große sehnsüchtige Suche des Menschen nach dem ursprünglichen Glück. Offenbar hegen manche Wissenschafter da weitaus menschlichere Gefühle, als ihnen vielleicht selbst bewusst ist.