)
Veränderung ist das Absolute, Zustände der Ruhe sind die Ausnahme. Diese einfache Weisheit, die im Frühling überall in der Natur sichtbar wird, war den Denkern der Antike vertraut. In dem Buch "Metamorphosen" beschrieb der Römer Ovid die Welt als ein endloses Ineinandergreifen von Verwandlungen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. - 17 n. Chr.) kam in der italienischen Kleinstadt Sulmo zur Welt, brach eine politische Laufbahn ab und lebte als Dichter in Rom. Er war 51 Jahre alt und ein bekannter Lyriker, als er bei Kaiser Augustus in Ungnade fiel und nach Tomi (heute Constanta, Rumänien) am Schwarzen Meer verbannt wurde, wo er auch starb. Die Gründe für den kaiserlichen Bannspruch sind nicht ganz klar. Es gibt sowohl Andeutungen, dass manche seiner erotischen Werke die guten Sitten in Rom in Gefahr gebracht hätten, als auch Vermutungen, denen zufolge Ovid Mitwisser politischer Intrigen geworden sein könnte und deswegen aus dem Zentrum der Macht entfernt wurde.
Die Verwandlungen, aus denen das Leben besteht, erlebt Ovid aber nicht nur am eigenen Leib. Das Rom jener Tage befand sich in einem fortwährenden Umbruch, wie er nach außen hin durch die prächtigen Umbauten sichtbar wurde, die Augustus (63 v. - 14 n. Chr.), der Großneffe und Erbe Cäsars, in Auftrag gegeben hatte, Umbauten, durch die nach seiner Meinung Rom von einer Stadt der Ziegel zu einer Stadt aus Marmor werden sollte. Im Hintergrund dieser baulichen Veränderungen ging jedoch auch eine innere Verwandlung vor sich, nämlich der allmähliche Umbau der Reste der römischen Republik zu einer Monarchie.
Ovid erlebte also, während er sein Epos entwarf, handfeste gesellschaftliche und private Veränderungen, wie sie auch der moderne Mensch kennt. Dementsprechend spannt sein Werk, das mit der Verwandlung des Chaos in den Kosmos durch ein göttliches Wesen beginnt ("wer immer der Gott auch gewesen" sein mag) und die Geschichte der alten Helden behandelt, den Bogen zur damaligen politischen Gegenwart Roms, der Ermordung Cäsars und den sich daran anschließenden Aufstieg von Augustus. Wobei natürlich gewisse Unterschiede zum Abgang moderner Kanzler und Präsidenten nicht zu übersehen sind, wenn Ovid berichtet, wie sich die Seele des getöteten Cäsars in den Äther erhebt, wo er sich in einen strahlenden Stern verwandelt: "Hoch über den Mond nun stieg er im Fluge / Und als gedehnten Schweif nun nachziehend das flammende Haupthaar / Glänzt er als Stern."
Übrigens stehen viele der Geschichten, die Ovid in den "Metamorphosen" erzählt, auf eine merkwürdige Art mit der Gegenwart in Verbindung. Zum Beispiel die Geschichte des Phaëton, die im zweiten der fünfzehn Bücher des Epos dargestellt wird und dessen Name dann für ein Auto verwendet wurde. Die Zeugung dieses Helden war das Ergebnis einer Affäre seiner menschlichen Mutter mit einem Gott, und zwar keinem Geringeren als dem Sonnengott Sol. Da der heranwachsende Jüngling aber den Erzählungen seiner Mutter misstraut, verlangt er einen Beweis dafür, dass tatsächlich der Sonnengott sein Vater sei. Er bricht zu dessen Palast auf und versteift sich darauf, einmal den Sonnenwagen des Vaters selbst steuern zu dürfen, dessen regelmäßige Fahrten den Wechseln von Tag und Nacht bestimmen.
Der Vater gibt widerstrebend nach, der Sohn fährt los und verliert prompt die Kontrolle über das übermenschliche Gefährt. Die Folge ist ein gewaltiger Unfall, bei dem ganze Länder verbrennen und eine Sonnenfinsternis über der Erde liegt. Phaëton wird von einem Blitz Jupiters getötet, seine Schwestern, die sich in Tränen auflösen, werden in Pappeln verwandelt und Cygnus, ein Freund des Unglückslenkers, der zum Grab geeilt kommt, nimmt aus Entsetzen über das feurige Ende des geliebten Helden die Gestalt eines Schwanes an, in der er immer dem löschenden Wasser nahe bleibt.
Auch eine Warnung vor dem Umgang mit frei laufenden Stieren findet sich in dem Epos, und zwar die Geschichte der Jungfrau Europa, in die sich der oberste Gott Jupiter verliebte. Um sich ihr nähern zu können, verwandelte er sich am Meeresufer Kleinasiens in einen Stier mit weißem Fell und hübschen Hörnern. So manierlich, wie er sich benahm, war die Jungfrau bald begeistert von ihm und schließlich bereit, ihn zu reiten. Kaum saß sie jedoch auf dem Rücken des göttlichen Rindviehs, galoppierte dieses los und schwamm mit ihr über das Mittelmeer nach Kreta, wo sich der Stier in einen Gott zurückverwandelte und über die schöne Frau hermachte. Zur Entschädigung tragen seit damals die dunklen Landstriche jenseits von Kreta den Namen der Geliebten des obersten Gottes.
Doch können bei Ovid nur Götter wie Jupiter ihre Verwandlungen nach Belieben rückgängig machen, für die menschlichen Akteure ist die Verwandlung immer irreversibel. Zum Beispiel die des grausamen Königs Lykaon, der zur Strafe für seine Übergriffe zu einem Wolf wird, oder die des Mädchens Skylla, das zunächst ein Meeresungeheuer und später ein gefährlicher Felsen wird, an dem so manches Schiff scheitert. Die unfreundlichen Bauern, die einer Fremden und ihren Kindern kein Wasser geben wollen, werden zu ewig quakenden Frö-schen und der Fürst Tereus, der sich an seiner Schwägerin vergeht, endet als Wiedehopf. Glücklich mit ihrer Verwandlung sind allerdings wenige, am ehesten noch das Mädchen Iphis, das als junger Mann erzogen wird und schließlich kurz vor ihrer Hochzeit in einem Tempel tatsächlich in einen Mann verwandelt wird.
Aber so ist das eben bis heute mit den Verwandlungen, seien sie politischer oder privater Natur: Sie finden statt, unabhängig davon, was die Beteiligten darüber denken. Daran hat sich seit den Zeiten des Ovid nichts geändert.
Literatur:
Ovid: "Metamorphosen". Übersetzt von Reinhart Suchier. Verlag Anaconda, 2005. 320 Seiten
Niklas Holzberg: "Ovids Metamorphosen". Verlag C.H. Beck, 2007, 125 Seiten