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Auch im Norden des Landes wachsen Wirtschaftszentren. | Wenzhou/Binhai. Beim Treffen von Chinas Präsident Hu mit US-Präsident Bush stand auch das grosse amerikanische Handelsdefizit zur Debatte. Doch an Chinas Willen, zur Fabrik der Welt zu werden, ändert das nichts.
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Wenn George W. Bush das große amerikanische Handelsdefizit mit China verstehen will, muss er sich über Wenzhou informieren. Denn die Hafenstadt 40 Flugminuten südlich von Shanghai ist die eigentliche Hauptstadt der chinesischen Unternehmensgründer.
Private treiben die Wirtschaft an
Die Einwohner Wenzhous gehörten zu den ersten, welche die neuen Freiheiten seit den 80er Jahren genutzt haben. Heute gibt es hier 1,3 Millionen Unternehmen, davon 97 Prozent in Privateigentum. Hier wird jeder vierte Schuh des Landes, 80 Prozent der Brillen und 60 Prozent der Rasierklingen hergestellt. Die Stadt exportiert Waren für rund 16 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 1600 Euro, das dritthöchste nach Peking und Shanghai. Die Stadt liegt zwischen Meer und Gebirge eingeklemmt. Selbst die Provinzhauptstadt Hangzhou ist weit entfernt, erst recht Peking. Die Menschen hier sind es gewohnt, für sich selbst zu sorgen. "Wir denken nicht so ideologisch", erklärt Xie Hao, Vizechef der Stadtverwaltung, den Erfolg Wenzhous. "Wir haben immer praktisch gedacht."
Das Zippo-Feuerzug kommt aus Wenzhou
Huang Fajing ist einer der Unternehmer, die hinter dem Erfolg Wenzhous stehen. Anfang der 80er Jahre verlor er seinen Arbeitsplatz in einer staatlichen Fabrik, die damals bankrott ging. Er entschied sich, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Zuerst produzierte auch er Brillen. "Aber es gab zu viele andere, die das gleiche taten", sagt Huang. So wechselte er auf kleine elektrische Produkte. Schließlich entschloss er sich, Feuerzeuge zu produzieren. "Es gibt in Wenzhou nur 2000 Unternehmen, die das tun", erklärt er. Heute verkauft Huang 10 Millionen Feuerzeuge pro Jahr. Davon gehen 90 Prozent unter anderem unter Markennamen wie Zippo ins Ausland. Doch das chinesische Wirtschaftswunder der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte hat nicht alle Landesteile gleichmäßig erfasst. In den 80er Jahren war Shenzhen bei Hongkong in Südchina das Zentrum des Aufschwungs. In den 90er Jahren folgte Shanghai: Chinas Wirtschaftsmetropole erwirtschaftet mehr als doppelt so viel wie Peking und die benachbarte drittgrösste Stadt, Tianjin, zusammen.
Die Führung in Peking will das nun ändern. Der Volkskongress beschloss im März, dass die Region Binhai bei Tianjin das dritte große Wirtschaftszentrum des Landes werden soll. Heute leben in dem 230 Quadratkilometer großen Gebiet 1,4 Millionen Menschen. In den nächsten Jahren sollen hier 50 Milliarden Euro investiert werden.
Der Containerhafen Binhai soll bereits 2010 eine Kapazität von 10 Millionen Tonnen aufweisen. Die Behörden suchen derzeit im In- und Ausland nach Investoren. "Hier gibt es viel und billiges Land", sagt Wang Xinjuan, Vizedirektor der Biotechnologie-Firma Tianjin Biochip Corporation.
Die zwei Jahre alte Firma stellt Diagnosemittel für Bakterien wie E.coli her. Wang hat im vergangenen Jahr eine vielversprechende Karriere in den USA abgebrochen, um am Aufschwung in Nordchina teilzuhaben. "Wir sind hier am Anfang von etwas ganz Großem", sagt er stolz.
Aufschwung auf Kosten der Umwelt
Der Aufschwung in China wird sich also fortsetzen. Doch sein Tempo beunruhigt auch die Behörden. So hatten sie für das erste Quartal mit einem Wachstum von 8,5 Prozent gerechnet. Tatsächlich betrug es 10,2 Prozent. Präsident Hu Jintao warnte daher vor seiner Abreise in die USA wieder einmal vor einem zu starken Wachstum. Er wies auch darauf hin, dass das rasche Wachstum auf Kosten der Umwelt gehe.
In Wenzhou wird das deutlich. Die Stadt wird von ihrem eigenen Smog fast erdrückt. "Wir sind eben ein Entwicklungsland", sagt Xie Hao. "Wir müssen durch den Prozess der Industrialisierung gehen, bevor wir an die Umwelt denken können", fügt der Vizechef der Stadtverwaltung hinzu. Ganz pragmatisch, wie in Wenzhou üblich.